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"Beppe Grillo hat drei Monate lang nur Nein gesagt"

Von Rainer Mayerhofer

Politik
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Piero Fassino: PD braucht im Herbst einen ruhigen Parteitag ohne Zerrissenheit.
© Luca Faccio

Ergebnisse der Kommunalwahlen haben die Regierung stabilisiert.


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"Wiener Zeitung": Wie sehen Sie die politische Lage in Ihrem Land nach den doch etwas überraschenden Wahlergebnissen der jüngsten Kommunalwahlen?

Piero Fassino: Die Kommunalwahlen haben die politische Lage in Italien stabilisiert. Die stärkste Partei, die Demokratische Partei (PD), die auch den Regierungschef stellt, hat in allen Städten gesiegt. Berlusconis Partei hingegen musste Rückschläge hinnehmen, und vor allem Beppe Grillos Bewegung hat starke Verluste erlitten. Dieser Wahlausgang schiebt den Wunsch nach baldigen Neuwahlen sicher hinaus. Das stabilisiert die Regierung.

Wie ist die Lage in Ihrer Partei, der PD? Wird der jüngst bestellte interimistische Parteichef Guglielmo Epifani beim Parteikongress im Herbst neuerlich antreten oder gibt es schon andere Weichenstellungen?

Ich möchte sagen, dass wir bei den Parlamentswahlen im Februar ein nicht zufriedenstellendes Resultat erreicht haben. Die jüngsten Kommunalwahlen erlauben uns aber mit größerer Zuversicht in die Zukunft zu sehen. Wir brauchen einen ruhigen Kongress mit einer tief greifenden Diskussion, aber ohne Zerrissenheit. Guglielmo Epifani ist ein Mann, der über die Eigenschaft verfügt, die Partei zusammenzuhalten und sie mit Autorität zu führen, um uns in einem ruhigen Klima zum Kongress zu bringen. Dann wird man sehen, was dort passiert - ob Epifani beschließt, zu kandieren oder nicht, ob es andere Kandidaten gibt. Dann werden wir zu prüfen haben. Wichtig ist, dass der Weg nicht von Gegenpositionen und Zerrissenheit geprägt ist.

Wie sehen Sie die Zukunft der 5-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo? Ist sie nur ein Strohfeuer oder hat sie auf längere Sicht Zukunft?

Die Bewegung Grillos ist aus einer Welle des Unbehagens entstanden, aus Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber den Parteien. Ein Teil der Öffentlichkeit steht der Politik und den Parteien feindlich gegenüber. Das hängt mit der wirtschaftlichen Krise zusammen, die Unruhe und Unsicherheit mit sich bringt. Es geht um Arbeitsplätze, Einkommen und die Zukunft der Kinder. Und dann gab es natürlich auch Unsitten, die das Image der Politiker geschädigt haben. All das hat ein Gefühl der Feindschaft gegenüber der Politik geschaffen und Grillo hat bei den Wahlen vor drei Monaten die Ernte davon eingefahren. In den drei Monaten seither hat Grillo das alles in den Wind geworfen. Er hat keine Politik, er hat kein Programm. Drei Monate lang hat er nur "Nein" gesagt. Die Bürger wollen aber Antworten. Grillo hat die Unzufriedenheit geerntet, aber keine Antworten gegeben. In vielen Städten, in denen am vergangenen Wochenende gewählt wurde, hat er deshalb die Hälfte seiner Stimmen verloren.

Ein nicht unerheblicher Teil der Nachrichten über Italien wird von den Justizproblemen des früheren Regierungschefs Silvio Berlusconi beherrscht. Wie würden Sie als ehemaliger Justizminister einem österreichischen Zeitungsleser erklären, dass Berlusconi immer wieder Verurteilungen entgeht, weil die Delikte verjährt sind?

Eines der Probleme Italiens besteht darin, dass die Justiz oft langwierig und langsam ist. Zu lange andauernde Prozesse fallen der Verjährung anheim. Das betrifft nicht nur Berlusconi, sondern auch andere. Ich glaube deshalb, dass man viel mehr in die Justiz investieren muss, um sie schneller zu machen. Die Justiz ist nicht schnell genug und die Bürger verlieren Vertrauen in sie. Was Berlusconi betrifft, muss man zwei Gesichtspunkte im Auge behalten. In den Prozessen gegen Berlusconi muss der Richterstand abwägen und urteilen. Etwas anderes ist die Politik, die nicht die Aufgabe hat, Prozesse zu führen.

Was war der Anlass für Ihren derzeitigen Wien-Besuch?

Turin hat in den letzten 20 Jahren eine große Veränderung durchgemacht. Von einer reinen Industriestadt hat Turin sich zu einer Stadt der Technologie, der Forschung, der Innovation, zu einer Kultur- und Universitätsstadt entwickelt. Bei unseren neuen Projekten in diesem Bereich sind wir an einer Kooperation mit Wien interessiert. Das gilt auch für den wirtschaftlichen Bereich. Viele österreichische Firmen arbeiten bei uns, Turiner Firmen in Österreich. Wien ist eine große Kulturstadt und auch wir haben sehr viel in diesem Bereich investiert. Turin ist auch zu einer Touristenstadt geworden. Wien hat in diesem Bereich große Erfahrungen. Wirtschaft, Technologie, Kultur und Tourismus sind also Bereiche, wo wir Zusammenarbeit suchen. Wir legen Wert auf starke internationale Zusammenarbeit. Nächste Woche werde ich Israel besuchen. Weiters stehen demnächst noch Besuche in Paris, London und Prag auf dem Programm und zum Jahresende werde ich in New York sein.

Während meines Wienbesuchs bin ich mit Bundespräsident Heinz Fischer und Bürgermeister Michael Häupl zusammengetroffen. Wir haben in der Botschaft Vertretern der österreichischen Gesellschaft eine Präsentation unserer Stadt durchgeführt und im Konzerthaus gab es eine Aufführung unseres Turiner Opernhauses.

Piero Fassino

Der 1949 geborene Turiner Bürgermeister (seit 2011) startete seine Politkarriere in der KPI und war von 2001 bis 2007 Parteichef der Linksdemokraten. In den Mitte-Links-Regierungen zwischen 1996 und 2001 war er zuerst unter Prodi Staatssekretär im Außenministerium, ab 1998 Außenhandelsminister und 2000/2001 Justizminister.