Algier - Ungeachtet des in der Vorwoche von der algerischen Regierung verhängten Demonstrationsverbots haben die Führer der Berber für den 5. Juli einen neuen Protestmarsch angekündigt. Dabei geht es nicht mehr nur um die Forderungen der Berber nach mehr Rechten und Anerkennung ihrer Sprache. "Das Land ist bereit zu einem radikalen Bruch mit dem System, das Algerien seit der Unabhängigkeit (1962) regiert", sagt Ex-Minister Amara Benyounis, dessen sozialdemokratisch orientierte Berber-Partei RCD im Mai die Regierung verlassen hat.
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Der gegenwärtige Aufstand sei nicht vergleichbar mit ähnlichen Unruhen in der Vergangenheit - noch nicht einmal mit dem so genannten Berber-Frühling von 1980, sagte Benyounis. "Die Menschen demonstrieren seit zwei Monaten. Diesmal werden sie sich nicht stoppen lassen".
Der Aufstand der Berber ist das jüngste Problem, mit dem Präsident Abdelaziz Bouteflika seit seiner Wahl im Jahr 1999 zu kämpfen hat. Bouteflika trat sein Amt mit dem Versprechen an, den seit 1992 dauernden Bürgerkrieg zu beenden, dem fast 100.000 Algerier zum Opfer gefallen sind. Als er den islamischen Fundamentalisten im vergangenen Jahr Amnestie anbot, ergaben sich fast 6.000 Rebellen. Doch Anschläge und Massaker gingen weiter.
Viele Algerier werfen der Regierung vor, nur halbherzig gegen die Islamisten vorzugehen. Die Angst vor dem Terror werde als Vorwand für Repressionen gegen die gesamte Bevölkerung benutzt, so die Kritik. Hinzu kommt der Ärger der Bevölkerung über eine andauernde Wirtschaftskrise, die die Algerier als Resultat von Misswirtschaft und Korruption betrachten.
Diese weit verbreitete Unzufriedenheit bildete die Grundlage dafür, dass sich die Demonstrationen der Berber rasch über die Kabylei hinaus ausbreiteten und auch die Hauptstadt Algier erfassten. Am 14. Juni gingen rund eine Million Menschen für mehr Demokratie auf die Straße. Es handelte sich um die bisher größte Protestaktion seit Beginn der blutigen Auseinandersetzungen in der Kabylei Mitte April. Auslöser der Unruhen war der Tod eines Studenten in Polizeigewahrsam. Seitdem wurden mindestens 80 Menschen getötet und mehrere hundert verletzt. Außerdem gelten seit der Demonstration am 14. Juni rund 130 Personen als vermisst.
Die Berber, die sich in ihrer eigenen Sprache Imazighen nennen, gehören zu den europid-mediterranen Völkern und sind die älteste Bevölkerungsgruppe Nordwestafrikas. Von den heute noch mehr als zehn Millionen Berbern leben die meisten in Marokko und Algerien, einige in Tunesien und Libyen.