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Berechnet? Ausgerechnet!

Von Tamara Arthofer

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Tamara Arthofer
Tamara Arthofer leitet das Sportressort der "Wiener Zeitung".

Brasilien wird Weltmeister. Das geht gar nicht anders. Es sei denn, es wird alles anders.


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Die schlechte Nachricht: Das Wetter lädt an den ersten WM-Abenden nicht zum gemeinsamen Fußballschauen unter freiem Himmel ein. Rechtzeitig zur WM kamen Wind und zumindest mancherorts in Österreich Regen. Die gute Nachricht: Sie versäumen nichts. Die Spiele kann man sich getrost sparen, denn der Weltmeister steht ohnehin schon fest. Zumindest, wenn es nach den Statistikern der Universität Innsbruck und Wien geht. Und jenen der Universität Münster. Und jenen der Wirtschaftsprüfungsagentur Deloitte. Mit unterschiedlichsten Modellen errechneten sie die Wahrscheinlichkeiten, nach denen die jeweiligen Teams am 15. Juli den Pokal in den Moskauer Nachthimmel stemmen dürfen. Und alle kamen sie zum selben Ergebnis: Brasilien wird Weltmeister, das wahrscheinlichste Finale ist demnach Brasilien gegen Deutschland. Nur in dieser Hinsicht schert Deloitte etwas aus und glaubt an Vizeweltmeister Argentinien.

Die Siegertipps decken sich jedenfalls mit den Einschätzungen von Brasiliens Superstar Neymar, der sich eine Revanche für das nationaltraumatöse 1:7 gegen Deutschland vom Halbfinale der Heim-WM 2014 wünscht. Neymar, der damals wegen eines zuvor erlittenen Wirbelbruchs nur Zuschauer war, gab vor WM-Start in einem Interview mit dem Internetportal spox.com seine Sicht der Dinge preis: "Ich würde dieses Spiel auf jeden Fall sehr, sehr gerne noch einmal spielen. Mit mir auf dem Feld. Ich glaube, dann wäre das Ergebnis schon anders ausgefallen. Ich bin mir sogar ziemlich sicher."

Was Neymar offenbar vergessen hat: Es war auch die Fokussierung auf seine Person, die damals dazu geführt hat, dass die Dinge ihren Lauf nahmen; dass nach seiner Verletzung eine Verunsicherung einsetzte, die seine Landsmänner an jenem Abend in Belo Horizonte wie die aufgescheuchten Hendln über den Platz laufen ließ.

Dass Paris-Saint-Germain-Star Neymar, der teuerste Fußballer aller Zeiten, der von sich selbst behauptet, er hätte keine 222 Millionen Euro für sich bezahlt (wenn das kein Eigenmarketing-Schmäh ist), sich selbst nun ohne jede Not wieder ins Spiel bringt, erhöht den Druck auf den 26-Jährigen und die Seleçao. Dabei wäre sie gut beraten, aus der Vergangenheit zu lernen und den Ball flach zu halten. Denn obwohl diesmal der Faktor Heim-Publikum wegfällt, ist die Erwartungshaltung im Land des fünfmaligen Weltmeisters ohnehin schon groß genug. Die Vorbereitung verlief schon fast zu reibungslos für die Brasilianer, die die Österreicher zuletzt 3:0 geschlagen haben. Und die haben ja immerhin Deutschland, und Deutschland ist, wie der Stammtisch weiß, bekanntlich . . . Nun ja.

Um die Hoffnungen zu dämpfen, müssten die Brasilianer jetzt schon etwas tun, was wohl niemandem einfallen würde: den Teamchef feuern zum Beispiel. Okay, soll auch schon vorgekommen sein. Der Fußball hat eben doch Geschichten auf Lager, die keine Wahrscheinlichkeitsrechnung, keine Statistik der Welt und kein Neymar schreibt. Vielleicht sollte man sich die Spiele doch anschauen, wenn man nichts verpassen will. Denn so berechnend und berechenbar der Fußball mittlerweile ist, auch hohe Favoriten sind schon tief gefallen. Ausgerechnet die.