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Bereit für eine Präsidentin?

Von Angela Charlton und Tobias Schmidt / AP / WZ Online

Europaarchiv
© Marie-Lan Nguyen / GPL

Die Grande Nation sieht sich seit der Revolution 1789 als Vorkämpferin der Menschenrechte. Das Wahlrecht für Frauen wurde in Frankreich allerdings erst 1944 eingeführt; Jahrzehnte später als in der Türkei oder der Sowjetunion. Von politischer Gleichstellung kann auch heute noch nicht wirklich die Rede sein: In Afghanistan, im Irak und 83 anderen Ländern ist der Anteil von Frauen im Parlament größer als in der Pariser Nationalversammlung.


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Nicht zuletzt deswegen ist der Kampf von Segolene Royal um die Präsidentschaft so bedeutsam - und vielleicht auch so hart, wie die Sozialistin selbst sagt.

Sollte die 53-jährige Exministerin am Sonntag gewinnen, hätte sie sich nicht nur gegen den favorisierten Gegner Nicolas Sarkozy durchgesetzt. Es wäre auch ein Triumph in einer männerdominierten politischen Kultur. Bei der Besetzung wichtiger Positionen mit Frauen liegt Frankreich gegenüber seinen Nachbarn deutlich im Hintertreffen. Im deutschen Parlament sitzen 31,8 Prozent Frauen, in der ganzen Assemblee Nationale sind es 14 Prozent.

Noch, muss man wohl hinzufügen, denn auch wenn Royal verliert: Ein Prozess ist in Gang gekommen. Sie selbst und Sarkozy haben angekündigt, ihr Regierungsteam zur Hälfte mit Frauen zu besetzen. Schon in Sarkozys Kampagne spielten die Feministin und Holocaust-Überlebende Simone Veil und Verteidigungsministerin Michele Alliot-Marie eine große Rolle. Und viele Politikerinnen hoffen, bei der Parlamentswahl im Juni vom "Phänomen Royal" zu profitieren.

Noch vor Kurzem hätten Frauen in Führungspositionen unter dem Generalverdacht gestanden, sie hätten sich "hochgeschlafen", konstatiert Margie Sudre, frühere Ministerin und eine der ersten Regionalpräsidentinnen des Landes. "Das galt sogar für Edith Cresson", sagte Sudre in einem Interview. Cresson war von 1991 bis 1992 die bisher einzige Premierministerin.

Dabei herrscht in Frankreich in Sachen Emanzipation keine Steinzeit mehr: Die "Pille danach" wurde hier eingeführt, neben dem Mutterschafts- gibt es den Vaterschaftsurlaub, um den Erzeuger in die familiäre Pflicht zu nehmen. Neidisch blicken viele Europäerinnen wegen der kostenlosen Betreuung von Kleinkindern nach Frankreich. Die furchtlose Heeresführerin Jeanne d'Arc gehört zu den Säulenheiligen der Geschichte, auf die sich selbst Rechtspopulist Jean-Marie Le Pen gerne beruft.

Nichtsdestotrotz sind Schönheit und eine erotische Ausstrahlung als Ideale für die moderne Französin nicht verschwunden, im Gegenteil. Royal ist dafür das beste Beispiel. Sie ließ sich im türkisfarbenen Bikini ablichten, trägt hochhackige Schuhe und wählt ihre meist weißen Kostüme mit einer Sorgfalt aus, die immer wieder Staunen lässt.

"Wenn du nicht ein klein wenig die Rolle der Verführerin beherrschst, wird es härter", berichtet Noelle Lenoir, die erste Frau, die den Verfassungsrat leitete. Dass Royal als erste Frau in einer Präsidentschaftsstichwahl steht, ist für die frühere EU-Ministerin Anzeichen eines "beachtlichen Mentalitätswandels".

In der ersten Wahlrunde am 22. April spielte das Geschlecht der Kandidaten keine entscheidende Rolle, bei der weiblichen Wählerschaft lag Sarkozys Vorsprung unwesentlich niedriger als in der männlichen. In der Stichwahl am 6. Mai werde sich zeigen, ob das Land wirklich bereit sei für eine Frau im höchsten Staatsamt, sagen einige. "Und dann gewinnt Hillary Clinton in den USA, und mit Angela Merkel gibt es ein vortreffliches Trio", schwärmt schon der deutsch-französische Historiker Alfred Grosser.

Tatsächlich geht es den Wählern aber um zwei unterschiedliche Projekte und Gesellschaftsmodelle, wenn man Umfragen trauen kann. Sarkozy will, dass die Franzosen mehr arbeiten und weniger Steuern zahlen. Wegen seiner markigen Sprüche gilt er vielen als machthungriger Bonapartist. Royal steht für einen Erhalt des französischen Sozialmodells und für eine neue, weniger elitäre politische Kultur. Dabei steht sie ihrem Gegner in Hinblick auf die als typisch männlich geltenden Eigenschaften wie einer ans brutale grenzenden Durchsetzungskraft in Nichts nach. Das hat sie als Präsidentin der Region Poitou-Charentes schon bewiesen.