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Bereitschaft zum Kompromiss hat nationale Grenzen

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Bei dem heute, Donnerstag, beginnenden Gipfel wollen die EU-Staats- und Regierungschefs ihre Verhandlungen über eine europäische Verfassung abschließen. Die Chancen dafür stehen besser als im Dezember des Vorjahres. Denn obwohl einige durch den Ausgang der EU-Wahlen geschwächte Regierungen nun verstärkt auf "nationale Interessen" pochen wollen, wird andererseits Bereitschaft zu einer Einigung verkündet.


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Wie die Macht im EU-Ministerrat zwischen den Mitgliedsländern aufgeteilt wird und wo durch einstimmige Entscheidungen Vetomöglichkeiten aufrecht bleiben - das sind die zentralen Fragen, die die EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag klären wollen. Es könnte allerdings auch länger dauern. Zwar zeigte sich der irische Ministerpräsident und EU-Ratsvorsitzende Bertie Ahern zuversichtlich, an den beiden Tagen zu einer Übereinkunft gelangen zu können. Genaue Angaben aber, wann der Gipfel zu Ende gehen soll, fehlen.

Ahern appellierte an die Teilnehmenden: "Die Zeit ist nun reif, um eine faire und ausgewogene Einigung zu erreichen und eine Verfassung zu schaffen, die wir unseren Bürgern präsentieren können und die Union effizienter, demokratischer und transparenter macht." Es sei klar, dass sich jede Delegation für ihre Ziele einsetzen werde, doch "müssen wir uns und der Welt beweisen, dass unsere erweiterte Union weiterhin Herausforderungen meistern kann".

Vorteile unumstritten

Nach dem Scheitern der Verhandlungen im Dezember des Vorjahres beschlossen die Staats- und Regierungschefs im März, bis zum Ende der irischen Ratspräsidentschaft einen Konsens zu finden. Die Vorteile einer Verfassung, die für eine Zusammenfassung der zahlreichen EU-Verträge sorgt, sind mittlerweile unumstritten. Eine stabile Führung, gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, mehr demokratische Kontrollmechanismen und leichtere Entscheidungsfindung sollen ermöglicht werden. Doch wurde bis jetzt weder eine Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen noch ein transparentes Entscheidungsverfahren im Ministerrat beschlossen. Die Mehrheitsfindung im EU-Rat bleibt denn auch einer der wichtigsten Diskussionspunkte. Der Reformkonvent hatte vorgeschlagen, dass Entscheidungen künftig von 50 Prozent der Mitgliedstaaten, die 60 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, getroffen werden sollen. Ein möglicher Kompromiss wäre die Anhebung der Prozentzahlen auf 55 und 65. Hinzu könnten zwei weitere Mindestschwellen für die Sperrminorität kommen, um zu verhindern, dass die drei bevölkerungsreichsten Staaten oder eine Minderheit von Kleinstaaten Beschlüsse aufhalten können.

Auf Drängen einiger Nettozahler- und Empfängerländer dürfte weiters die Einstimmigkeit beim Beschluss des mittelfristigen EU-Budgets bleiben. Gegen Mehrheitsentscheidungen in den Bereichen Justiz und Inneres, Steuern, Soziales und Außenpolitik wehrt sich wiederum Großbritannien (s. auch unten).

Streit um Stabilitätspakt

Doch auch andere Staaten könnten mit Verweis auf "nationale Interessen" Einwände einbringen. So wird der Streit um den Stabilitätspakt zu einer weiteren Belastung. Verwässert wird der Pakt dadurch, dass den Staaten das Recht zuerkannt wird, in wirtschaftlichen Schwächeperioden Budgetdefizite einzugehen. Welche Kompetenzen die EU-Kommission zur Überwachung der Einhaltung des Stabilitätspaktes erhalten soll, ist ebenso noch ungeklärt.

Mehr Kompromissbereitschaft als im Dezember zeichnet sich zum System der "doppelten Mehrheit" ab. Polen hat dies ebenso signalisiert wie Spanien und Deutschland. Polens designierter Ministerpräsident Marek Belka - der sich am 24. Juni einem Vertrauensvotum im polnischen Parlament stellt - hat laut der Tageszeitung "Rzeczpospolita" ein Abgehen von dem bisher favorisierten System von Nizza angedeutet. Dies würde allerdings Polens Position schwächen und die Möglichkeiten, eine Entscheidung zu verhindern, schmälern, kritisiert die Opposition.

Andere - in erster Linie kleinere Staaten - befürchten an Einfluss zu verlieren, wenn die Zahl der Mitglieder der künftigen EU-Kommission reduziert wird. Ab 2014 soll diese 15 oder 18 Personen umfassen. Ob Österreich von seiner Forderung "ein Kommissar pro Land" abrücken wird, ließ Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gestern offen: Er sei nicht bereit, nur über ein Thema zu reden. Denn es werde über "das Gesamtpaket" verhandelt.

"Kluge Kompromissformeln"

Gleichzeitig betonte Schüssel, dass die Übereinstimmungen bei der Verfassungsdebatte größer seien als die Zahl der offenen Fragen. So seien "kluge Kompromissformeln" gefunden worden, unter anderem zum Minderheitenschutz, zum Rotationsprinzip der Ratspräsidentschaft oder zur Boden- und Wassernutzung.

Die Aufwertung der nationalen Parlamente und den Übergang zu mehr Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit hob der Bundeskanzler hervor. Es sei gelungen, eine "Balance zwischen dem nationalen Element und dem europäischen Interesse" zu finden. Bei den Mehrheitsentscheidungen wäre Österreich sogar noch "weiter gegangen", erklärte Schüssel.