Über den bis heute von den Verstrickungen des Alpenvereins mit dem Nationalsozialismus diskreditierten Gipfelgruß.
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Goethe irrte. Über allen Gipfeln ist keine Ruh’. War nie. Gestürmt, gekracht, gepoltert hat es immer. Götter schlugen und vertrugen sich auf den Bergen. Ihre Propheten bauten Altäre auf den Höhen, opferten, meißelten, predigten und starben oben für ihre Völker unten. Heerscharen zogen über die Gebirge, mit Elefanten ab und zu, waffenstarrend, waffenklimpernd immer.
Allein sein Dichterkollege Petrarca, den die Geschichtsschreibung als ersten Bergsteiger adelt, weil er 1336 den Mont Ventoux in der Provence bestieg, "einzig von der Begierde getrieben, diesen außergewöhnlich hohen Ort mit eigenen Augen zu sehen", nahm Goethes Gipfelideal vorweg: "Zuerst stand ich, durch einen ungewohnten Hauch der Luft und durch einen ganz freien Rundblick bewegt, einem Betäubten gleich." Wieder bei Sinnen, ist es auch bei Petrarca mit der Ruhe vorbei, beginnt er seinem Begleiter aus den "Bekenntnissen" des Heiligen Augustinus vorzulesen. Wieder im Tal, schreibt der Dichter seinem Freund einen Brief über dieses Bergerlebnis - und sich selbst damit in die Annalen der Alpingeschichte ein.
Erstmals vor 140 Jahren
In diese eingetragen hat sich auch der Wiener Geograph und Alpinist August Böhm von Böhmersheim - und das gleich mehrfach: Als Wissenschafter geht auf den begabtesten Schüler und Nachlassverwalter von Gletscherpapst Friedrich Simony die Einteilung der Ostalpen zurück. Als Kletterer gelangen dem "Entdecker der Mödlinger Kletterschule" Erstbegehungen in Fels und Eis, von der Rax bis in die Zillertaler Alpen. Und dort, am Gipfel des Olperer, auf 3.476 Meter, machte Böhm am 8. August 1881 der Gipfelruhe formell den Garaus, indem er das "Berg Heil" erfand.
Seine Bergfreunde am Olperer waren ein absolut würdiges Premierenpublikum: das Wiener Brüderpaar Emil und Otto Zsigmondy, Kletterstar-Geschwister des ausgehenden 19. Jahrhunderts wie heute die "Huberbuam", und Ludwig Purtscheller, der "Führer der Führerlosen" und spätere Erstbesteiger des Kilimandscharo. Von Purtscheller stammt auch die erste Erwähnung dieses Grußes in der wichtigsten Publikation des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins (DuOeAV) - die Quasi-Kanonisierung in der alpinen Fachsprache. Im Jahrbuch 1899 beschreibt er das Wiedersehen mit einem Freund in den Glarner Alpen: "Ein freudiges ‚Bergheil!‘ löste sich von unseren Lippen." Doch bereits vorher fand der von Böhm in die Zillertaler Gipfelarena hinausgerufene Glückwunsch Niederschlag in Bergzeitschriften - ein Indiz, dass der Gruß sehr schnell den Weg vom Olperer auf andere Berge fand und sich als Gipfelritual in Bergsteigerkreisen etablierte. So schreibt 1893 "Der Gipfelfreund" im Bericht über die Gedenkfeier auf der Rax für einen dort im Wettersturm umgekommenen Bergsteiger: "Dir aber, lieber Mitbruder, der Du uns viel zu früh entrissen wurdest, Dir rufe ich im Namen des Niederösterr. Gebirgsvereins, dessen treues Mitglied Du warst, traurigen Herzens unser letztes Bergheil zu."
Freudiger war eine Einladung im "Gipfelfreund" im Jahr darauf, in der für das Gebirgsverein-Kränzchen geworben wurde: "Der Sofiensaal hat für Alle Platz. Alle sollen uns willkommen sein als Freunde, als liebenswerthe Gäste, und Allen, welche da kommen werden, rufen wir ein fröhliches Bergheil! zu."
Wie Bergsteiger-Vereine übergreifend der Gruß in seinen Anfangsjahren war, zeigt sich am Bericht, den 1901 ein Naturfreunde-Funktionär über seinen Absturz und seine Genesung in der Vereinszeitung "Der Naturfreund" verfasste. Abschließend schreibt der wieder Tat- und Kletterhungrige: "Nun gilt es noch, die versäumten Sonntage wettzumachen. Hoffentlich kommt nun schönes Wetter. Sonntag Parseierspitze - wer geht mit? Bergheil!" Dieses Zitat ist insofern interessant, als die Naturfreunde Graz am 14. Jänner 1900 das "Berg Frei!" als Gruß für die steiermärkischen Ortsgruppen beschlossen und dieser vom Zentralausschuss übernommen wurde.
Vom (noch) friedlichen Nebeneinander von "Berg Heil" und "Berg Frei" zeugt auch der Artikel in der Vereinszeitschrift vom 15. September 1900 über die Eröffnung der ersten Naturfreunde-Schutzhütte am Padasterjoch in den Stubaier Alpen. Der Bericht referiert die Reden der zur Einweihungsfeier gekommenen Ehrengäste anderer alpiner Vereine, die "die herzlichsten Bergheil- und Bergfrei-Grüße" überbrachten.
Der Vertreter der akademischen Alpenvereinssektion Innsbruck würdigte als größten Verdienst der Naturfreunde, dass sie die Arbeiterschaft in die Berge führten, denn "der alpine Gedanke darf nicht ein Reservat gewisser Kreise sein, sondern muß Allgemeingut bleiben. (Stürmischer Beifall.) Gott sei Dank ist es auch Minderbemittelten möglich, die Freude an der Bergwelt zu genießen. ‚Bergheil!‘ (Andauernder Beifall.)" Das gedeihliche Miteinander am Berg wurde aber schnell vom Konkurrenzdenken abgelöst. Es kam zur Aufkündigung des Gegenrechts, sprich der Möglichkeit, dass auch Naturfreunde-Mitglieder die Vergünstigungen bei Übernachtungen in den Schutzhütten anderer Vereine in Anspruch nehmen durften. Mit zunehmender Intensität des politischen Kampfes zwischen Schwarz und Rot in der Zeit der Ersten Republik wurde auch das Gegeneinander am Berg immer mehr - und äußerte sich zuerst im gegenseitigen Grüßen.
"Wie wir grüßen sollen"
Der Gruß ist das "erste symbolische Geschenk an den anderen", schreibt der Frankfurter Soziologe Tilman Allert in seiner Studie "Der deutsche Gruß". Das Besondere an dieser alltäglichen Geste ist: "In jedem Gruß - selbst im verweigerten - spiegeln sich die Selbstbilder der Beteiligten und die Art und Weise, wie sie ihre Beziehung untereinander wahrnehmen." Allert zitiert den spanischen Philosophen José Ortega y Gasset, der den Gruß zum Ur-Ritual erhebt: "Er ist selbst keine wirkliche Handlung, kein Brauch mit eigenem zweckdienlichen Inhalt, sondern ist der Brauch, der alle übrigen Bräuche versinnbildlicht, der Brauch der Bräuche."
Nicht zum Besten ist es mit dem Berggruß-Brauch 50 Jahre nach Böhms Premiere auf dem Olperer bestellt. August Wesely, Bergjournalist und Naturschutz-Pionier, beklagt im "Wiener Boten", den "Mitteilungen des Gaues Wien im T.-V. ‚Die Naturfreunde‘" im Sommer 1930 das grußlos gewordene Bergsteigen: "Freilich sind die jetzigen Zeiten nicht besonders geeignet, Gefühlsmenschen zu erziehen, und die scharfen politischen Gegensätze haben schließlich auch die Bergsteigerkreise nicht verschont", widerspricht er selbst seinem Lamento: "Aber ungeachtet dessen müßte doch alle Bergsteiger das hohe und kostbare Gemeingut, die Liebe zu den Bergen, zur Solidarität dem Bergsport gegenüber verpflichten und über die politischen Parteien erheben ..."
Dass das nur mehr selten der Fall ist, zeigt sich an Weselys Antworten auf die damals brennende Frage, "wie wir grüßen sollen". Jeder nach seiner Art, schlägt der Naturfreund vor: "Wir Naturfreunde mit ‚Bergfrei‘, die anderen mit ‚Bergheil‘ oder wie es ihnen sonst noch geläufig und angenehm ist." Für Wesely sind beide Anrufe zweckentsprechend und gleichwertig: "Wenn uns jemand Heil, das heißt Glück, in den Bergen wünscht, wünschen wir ihm dort die Freiheit, die er unten, in den menschlichen Niederungen niemals zu finden vermag." Bei aller Toleranz gibt es aber auch für Wesely eine rote Linie, besser gesagt eine braune Demarkationslinie: "Selbstverständlich wird man auch Leute, die Abzeichen des Hasses in die Berge tragen, nicht grüßen, sondern einfach übersehen, sie werden auch ohne unser Zutun der Verachtung aller Alpinisten anheimfallen."
Ein Trugschluss, wie sich in den Jahren bis 1945 zeigen wird und wie er sich zu diesem Zeitpunkt bereits abzeichnet: "Einst galt der Alpenverein als ein Muster der unpolitischen Neutralität", übte die Berliner "Welt am Montag" 1925 Kritik am aggressiv deutschnationalen Kurs des DuOeAV: "Seit der Antisemitismus in ihm Einzug gehalten hat, rutscht er rasend rasch auf der schiefen Ebene hinab in die Niederungen des völkischen Demagogentums." Und mit dem Alpenverein auch das "Berg Heil"?
NS-Unheilsklang
Für die Gegenwart stimmt das auf jeden Fall. Bewusst gaben deshalb der Deutsche, Österreichische und Südtiroler Alpenverein einer Ausstellung und einem Buch zur selbstkritischen Aufarbeitung ihrer Vereinsgeschichte vor zehn Jahren den Titel "Berg Heil!": "Weil diese alpinistische Grußformel beispielhaft die Vielschichtigkeit des Bergsteigens zwischen einer vermeintlich apolitischen Freizeitbeschäftigung und einer engen Verknüpfung mit Politik und Gesellschaft deutlich macht. Die alpine Grußformel steht für Bergbegeisterung, gemeinsame Erlebnisse und alpinistische Leistung, aber eben auch für die Nähe von Alpinismus und deutschnationalen Ideologien."
Anders als bei "Petri Heil" oder "Waidmanns Heil", am ähnlichsten dem "Ski Heil", schwingt im "Berg Heil" immer noch der nationalsozialistische Unheilsklang mit, muss jede und jeder mit sich ausmachen, ob und vor allem in welcher Tonalität und Gesinnung man damit der Gipfelfreude Ausdruck verleiht. Eine Entscheidungshilfe könnten die jüdischen Bergsteigerinnen und Bergsteiger liefern, die man damals mit dem "Arierparagraphen" aus ihren Alpenvereinssektionen jagte.
In der ersten Ausgabe der "Nachrichten der Sektion ‚Donauland‘" vom 1. August 1921, die gegründet wurden, "allen jenen ein Sammelpunkt zu sein, die sich abgestoßen fühlen von der Welle des Hasses, die von den Heißspornen ausgeht", unterzeichnet der Sektionsausschuss wie selbstverständlich mit "Bergheil". So wie sich auch der Wiener Ausnahme-Musiker und -Alpinist Joseph Braunstein, dem 1939 die Flucht aus Wien gelang, sein "Berg Heil" nicht wegnehmen ließ - wie seine Wertschätzung für August Böhm. Im Nachruf auf den 1930 verstorbenen Böhm in den "Donauland-Nachrichten" erwähnt Braunstein dessen Berg-Heil-Anregung und betont: "Er gab sie nicht etwa in einer Sektions- oder Klubversammlung, sondern am Gipfel des Olperers ..."
In August Böhm vereinigten sich, schreibt Braunstein abschließend, "wissenschaftliche, sportliche und künstlerische Bestrebungen zu einem harmonischen, volltönenden Akkord" - der bis in höchste Bergeshöhen reichte.
Wolfgang Machreich lebt als freier Autor und Journalist in Wien.