Zum Hauptinhalt springen

Berlin - Eine Stadt als "Filmstar"

Von Markus Kauffmann

Kommentare
Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Es war in den frühen Neunzigerjahren, als ich auf dem Weg in mein Büro im Rathaus Schöneberg aus der Alltagsroutine gerissen wurde: Alles war von Kameras, Scheinwerfern und Kabelbergen verbaut. Die mir vertraute Treppenhalle diente einer amerikanischen Filmproduktion als Location. Aus dem Vestibül des Amtshauses war eine düstere, verqualmte Bahnhofsvorhalle geworden - Traumfabrik.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Doch Berlin ist nicht nur Filmschauplatz, sondern selbst auch Filmstar. Die wechselvolle Geschichte der Stadt und deren Spuren im Stadtbild haben Filmemacher stets angezogen wie das Licht die Motten. Schon 1927 inspirierte die pulsierende Industriemetropole Walter Ruttmann zu dem Stummfilm mit Musik "Berlin: Die Sinfonie der Großstadt" - 56 Jahre vor "Koyaanisqatsi" entstand ein frühes Meisterwerk des abstrakten Experimentalfilms mit rhythmischer Bildsprache.

Gleich zweimal wurde der expressionistische Roman von Alfred Döblin "Berlin Alexanderplatz" verfilmt, 1931 mit Heinrich George und 1978 als TV-Serie von Rainer Werner Fassbinder.

Das Hineintaumeln Berlins von den exzessiven Zwanzigerjahren in die Nazizeit wird in Filmen wie "Comedian Harmonists" (Joseph Vilsmaier, 1997) und dem Lesben-Drama "Aimée und Jaguar" (1999) thematisiert; in beiden wird privates Glück von der Politik brachial zerstört. Wie in dem Welterfolg "Cabaret" nach dem Musical von John Kander, das Bob Fosse 1972 in Szene gesetzt hat.

Unmittelbar nach dem Krieg drehte Roberto Rosselini hier seine Neorealismo-Tragödie "Germania, anno zero" (Deutschland im Jahre Null, 1946), in der ein kleiner Junge aus nackter Not seinen kranken Vater vergiftet; Mord als letzte Konsequenz in der Bombenruine, in der ein Kind nicht mehr Kind sein darf. Der erste Berliner Trümmerfilm entstand in der sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR: "Die Mörder sind unter uns" (1946) von Wolfgang Staudte mit Hildegard Knef.

Nächste Station: Teilung der Stadt. Knapp vor dem Mauerbau 1961 zog es Billy Wilder wieder nach Berlin, wo er die Komödie "Eins, zwei drei" mit Lieselotte Pulver und Horst Buchholz verfilmte. Alfred Hitchcock nutzte die Mauer als Basis seines Ost-West-Agententhrillers "Der zerrissene Vorhang" (1966). Auch "Der Spion, der aus der Kälte kam" (1965), die le Carré-Verfilmung mit Richard Burton, handelt vom geteilten Berlin.

Den wohlstandsverwahrlosten Westteil Berlins und seine Subkultur der siebziger und achtziger Jahre spiegeln die Streifen "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" (Uli Edel, 1981) und das Musical "Linie 1" (Reinhard Hauff, 1988); während Leander Haußmanns "Sonnenallee" (1999) sich mit den Verhältnissen im Osten befasst.

Zahlreiche Spielfilme fokussieren sich auf die Wiedervereinigung, wohl am bekanntesten "Good bye, Lenin!" (Wolfgang Becker, 2003).

Zeitsprung in die Gegenwart: Wer Einblick in die Berliner Hip-Hop-Subkultur gewinnen will, möge sich "Status Yo" (2004) ansehen. Nebenbei wird er mit Arbeitslosigkeit, Rassismus und Schlägereien konfrontiert. "Knallhart" aus dem Jahr 2006 ist ein Sittenbild der urbanen Kontraste: Schauplätze sind das bürgerliche Zehlendorf und der "soziale Brennpunkt" Neukölln, zwei Berliner Bezirke, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Berlin im Film - die Stadt ist selten nur Kulisse, wie etwa in Tom Tykwers "Lola rennt" (1999), in dem Franka Potente an der Albrechtstraße, dem U-Bahnhof Deutsche Oper, der Oberbaumbrücke, dem Bebelplatz und dem Gendarmenmarkt vorbei läuft. Meist spielen Berlin, seine dramatische Geschichte oder seine Probleme selbst die Hauptrolle.