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Berlin fürchtet um Reisefreiheit

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Dänen wollen "nur strengere Zollkontrollen". | Keine Fortschritte bei Reform des Schengen-Vertrags. | Brüssel. Dänemark hat die Debatte um den grenzenlosen Schengenraum neuerlich zugespitzt. Es hatte angekündigt, die Grenzkontrollen zu Deutschland und Schweden wieder einzuführen Anlass sei der Andrang von Kriminellen aus Osteuropa. Der dänische Integrationsminister Sören Pind hatte daher beim Sondertreffen der Innenminister zur Migration am Donnerstag alle Hände voll zu tun, zurückzurudern.


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Nach der von Frankreich und Italien zuletzt angeheizten Diskussion um ein neues Hochziehen der Binnengrenzen wegen Flüchtlingen aus Nordafrika ist das Schengen-Thema hochsensibel. Zumindest politisch bewegt sich Dänemark auf dünnem Eis.

Als Grund für den Vorstoß an den Binnengrenzen habe der dänische Kollege nämlich die "bevorstehenden Parlamentswahlen" genannt, erzählte die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner nach ihrem ersten EU-Ministerrat. Offenbar fürchtet die dänische Regierung im November ein weiteres Erstarken der rechtspopulistischen Volkspartei. Die stellt schon heute die drittstärkste Kraft im Parlament.

Wenig Verständnis für Dänemark zeigte der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich: Es sei gefährlich, aus innenpolitischen Gründen die Grenzen wieder hochzuziehen, warnte er. Dadurch werde der Druck auf andere Schengen-Staaten erhöht - es könnte eine Spirale in Gang gesetzt werden, "an deren Ende die Reisefreiheit zu Nichte gemacht" würde. Dagegen verwahrte sich auch Mikl-Leitner: "Die Reisefreiheit ist wichtig und heilig", sagte sie. "Wenn in wenigen Wochen die Urlaubssaison beginnt, wäre die Bevölkerung enttäuscht, stundenlang an den Grenzen warten zu müssen."

Kommission wartet ab

Der Däne Pind versuchte dagegen zu erklären, dass es sich keineswegs um neue Grenz- sondern lediglich um strengere Zollkontrollen handle. Umfangreiche Pass- und Personenkontrollen seien nicht vorgesehen. Die Maßnahmen sollten zwar "permanent aber nicht systematisch" und daher mit dem Schengen-Kodex vereinbar sein, so die dänische Logik. Innenkommissarin Cecilia Malmström bewertete diese Argumentation vorläufig nicht. Die Kommission warte noch auf genauere Erklärungen aus Kopenhagen, hieß es. Ein Rückschritt bei den EU-Grundsätzen des freien Personen- und Warenverkehrs werde aber nicht akzeptiert.

In den Hintergrund traten dank der Dänen die strategischen Überlegungen über die Zukunft des Schengen-Raums. Die liefen im Wesentlichen auf eine mittelfristige Einbetonierung des Status quo hinaus. Mikl-Leitner stellte klar, dass kein Land die Kompetenz zur vorübergehenden und anlassbezogenen Wiedereinführung der Kontrollen an Binnengrenzen abgeben wolle. Malmström hatte unlängst angeregt, solche Maßnahmen künftig auf EU-Ebene zur entscheiden - also möglichst unter Mitsprache von Kommission und EU-Parlament. Ein offenbar von Berlin und Paris lancierter Vorschlag sieht als Mittelweg eine Koordinierung vor, bei der nur die Mitgliedstaaten mitreden. Die Kommission wird von den Ministern um einen Vorschlag ersucht, hat jedoch offensichtlich noch keine Idee, wie dieser aussehen könnte.

Offen blieb auch, wie Länder, die Außengrenzen nicht überwachen können oder wollen, künftig sanktioniert werden könnten. Anlass der Überlegungen ist Griechenland, dass nur mit massiver Hilfe der EU-Agentur Frontex seine Grenze zur Türkei halbwegs kontrollieren kann. Wieder einmal nehmen sich Kommission und Staaten indes vor, sich auf ein gemeinsames Asyl-System ab 2012 zu einigen - und zwar möglichst bis Sommer. Die Verhandlungen kommen seit Jahren nicht vom Fleck.