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Berlin schlägt Visegrád

Von Thomas Seifert

Leitartikel
Thomas Seifert.

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Europas jüngster Kanzler (er ist seit 30 Tagen im Amt) trifft heute in Berlin auf Europas dienstälteste Regierungschefin. Als Sebastian Kurz vor vier Jahren als Außenminister in Berlin seinen damaligen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier traf, munterte der damals 57-Jährige den damals 27-Jährigen aus Wien schon vor ihrem Zusammentreffen am Telefon mit launigen Worten auf: Jugend sei ein Problem, das sich leider von selbst erledige.

Aber eben erst mit der Zeit. Kurz ist heute 31, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit ihren 63 Jahren mehr als doppelt so alt wie er. Und es ist schon beachtlich: Merkel findet sich auf der weltweiten Liste der dienstältesten Staats- und Regierungschefs auf Platz 41. Mit wenigen Ausnahmen sind die meisten Politiker vor ihr entweder unverhohlene Autokraten oder die Führer von - euphemistisch formuliert - illiberalen Demokratien (Frauen gibt es nur wenige auf dieser Liste; vor Merkel findet sich auf Platz 33 nur Sheikh Hasina, die Premierministerin von Bangladesch).

Beide Seiten betonen den positiven Charakter des Treffens von Merkel und Kurz, aber die persönlichen Beziehungen zwischen den beiden Spitzenpolitikern sind wohl nicht so harmonisch. Merkel musste in der Vergangenheit immer wieder als Punching-Ball in der Migrationsfrage herhalten, und Kurz steht den heißspornigen bayrischen Merkel-Gegnern in der CSU viel näher als den CDU-Vertrauten der Kanzlerin.

Und auch wenn einige Visegrád-Fantasten in der FPÖ für engere Bande zu den illiberalen Demokratien in Ungarn und Polen sind, spielt Deutschland wirtschaftlich, politisch und kulturell die uneingeschränkt wichtigste Rolle für Österreich. Wollen Berliner Wiener ärgern, bezeichnen sie Österreich augenzwinkernd als 17. Bundesland. So oder so: Wien ist gut beraten, eng mit Berlin zusammenzuarbeiten.

Gleichzeitig ist es im Interesse Europas, die von Viktor Orban vergifteten Beziehungen zwischen Ungarn und Europa wieder zu verbessern. Hier ruhen wohl Hoffnungen auf Wien, immerhin ist Österreich nach den Niederlanden (aus Steuergründen) und Deutschland drittwichtigster Investor bei den Magyaren. Ost-Mittel-Europa wieder auf einen vernünftigen Weg zu bringen, wird eine der Aufgaben der österreichischen EU-Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte sein.