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Berlin soll nicht Wien werden

Von Alexander Dworzak

Politik

In Deutschland wollen Konservative und Grüne nichts von einer Koalition wissen. Nach der Bundestagswahl könnte jedoch eine gemeinsame Regierung alternativlos sein.


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Deutsche Medien überschlagen sich dieser Tage mit Meldungen über die türkis-grüne Koalition im Nachbarland. Die erste Regierungsbeteiligung auf Bundesebene in Wien wird bei der Öko-Partei in Berlin aber alles andere als euphorisch begrüßt. Schweigen ist derzeit grünes Gold: Nach der Angelobung von Türkis-Grün am Dienstag brachte die Partei auf ihrem Account beim Kurznachrichtendienst Twitter keine Gratulation über Lippen beziehungsweise Finger. Auch Parteichefin Annalena Baerbock meldete sich dort nicht zu Wort.

Die Richtung gab der zweite Vorsitzende, Robert Habeck, bereits in der vergangenen Woche vor. Er meinte, Türkis-Grün sei kein Vorbild. Den Grünen gebühre zwar großer Respekt, die ÖVP nach der Koalition mit der FPÖ "ins demokratische Zentrum zurückbringen". In Deutschland lägen Grüne und CDU/CSU jedoch inhaltlich teils weit auseinander, so Habeck.

Die Differenzen hat sein österreichisches Gegenüber Werner Kogler - wie auch der neue Kanzler Sebastian Kurz - stets betont. Die Grünen waren für der Koalitionseintritt bereit, insbesondere in der Migrations- und Integrationspolitik ihre Positionen zu räumen; etwa bei der Sicherungshaft für Asylwerber, der Asyl-Bundesbetreuungsagentur und dem - wenn auch nur unter Hürden anwendbaren - koalitionsfreien Raum.

Selbstbewusst dank anderer Kräfteverhältnisse

Das stößt bei den deutschen Grünen ebenso sauer auf wie die Formulierung im Koalitionsvertrag, wonach die Mechanismen zur Verteilung von Migranten und Asylbewerbern innerhalb der EU "gescheitert" seien. "Inhaltlich verabschiedet sich der Vertrag leider vom Anliegen einer gemeinsamen, europäischen Asylpolitik", kritisiert die Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg in der "taz". Sie ist in der Fraktion für Flüchtlingsfragen zuständig. Parteichefin Baerbock legt sich gegenüber dem linksalternativen Blatt fest: "So etwas wird es in Deutschland nicht geben."

Baerbocks Selbstbewusstsein speist sich aus den Kräfteverhältnissen. Das Grünen-Hoch ist dauerhaft, seit Monaten liegen sie über 20 Prozent. Derzeit bedeuten 21 Prozent Platz zwei, der Abstand zur konservativen Union beträgt lediglich sieben Prozentpunkte. In Österreich trennten die Grünen bei der Nationalratswahl 23,5 Prozentpunkte von der siegreichen ÖVP.

Türkis-Grün in Wien ist keine Liebesheirat. Aber angesichts der noch immer an den Ibiza-Nachwehen laborierenden FPÖ und einer vor allem mit sich kämpfenden SPÖ blieb Kurz und Kogler wenig übrig, als das Experiment zu wagen. Auf die nächste Regierung in Berlin könnte eine ähnliche Konstellation zukommen, unabhängig davon, ob CDU/CSU und SPD bis zum regulären Ende der Legislaturperiode durchhalten und im Herbst 2021 gewählt wird. Eine Mehrheit links der Mitte ist weit entfernt. Siegt die CDU, würden sich die Sozialdemokraten hüten, zum vierten Mal binnen fünf Legislaturperioden als Juniorpartner zu versauern. Die CDU lehnt gemäß Parteitagsbeschluss eine Koalition mit AfD und Linkspartei ab. Übrig blieben nur noch die Grünen und die FDP - die analog zu den Neos hierzulande womöglich gar nicht als Mehrheitsbeschafferin gebraucht würde.

In Details verlaufen und Abneigung öffentlich gezeigt

Gespräche über eine schwarz-gelb-grüne Koalition scheiterten 2017. Damals gingen die Grünen als Neun-Prozent-Partei in die "Jamaika"-Sondierungen, in denen sie sich mehrfach öffentlich mit der CSU duellierten. Anstatt wie in Österreich jedem Partner Großprojekte zuzugestehen, sogenannte Leuchttürme, drehten sich die Verhandler bei Detailfragen tagelang im Kreis. Persönliche Abneigungen wurden auch zur Schau gestellt. Einer der damaligen Unruheherde war Alexander Dobrindt. Der Chef der CSU-Bundestagabgeordneten richtet den Grünen nun aus, sie seien "noch meilenweit von der Kompromissbereitschaft" der österreichischen Kollegen entfernt.

Doch auch die CSU merkt, dass sie sich bewegen muss. Umwelt- und Klimapolitik sind von Randthemen 2017 zu zentralen Politikfeldern aufgestiegen. Bayerns wendiger Ministerpräsident Markus Söder gibt sich daher seit vergangenem Sommer grüner. Er überraschte dieser Tage mit der Forderung nach neuen Gesichtern in der Bundesregierung - meinte damit aber nicht den umstrittenen CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer, sondern Wirtschaft und Innovation, also zwei Bereiche in CDU-Hand. Die Chefin der Schwesterpartei, Annegret Kramp-Karrenbauer, gab sich gesprächsbereit.

Ihrem Vorsitzenden-Kollegen Kurz gratulierte Kramp-Karrenbauer am Dienstag auf Twitter mehrere Stunden nach der Angelobung. Söder war flotter, sprach von einem "verlässlichen Partner" und einem "guten Freund Bayerns".