Frankreich erstmals für Änderung des Lissabon-Vertrages. | Private Schulden sollen bei Bewertung der Staatsschulden angerechnet werden. | Brüssel. Eine Handvoll Krisentreffen hatten die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Nicolas Sarkozy und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy dieses Frühjahr. In die Sommerpause verabschiedeten sich Berlin und Paris bei Van Rompuy mit einem Brief. In dem fünfseitigen Dokument legen sie ihre Eckpunkte für die Reform des Euro-Stabilitätspakts dar, der mit früheren, mehr und strengeren Sanktionen ausgestattet werden soll.
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Dabei spricht sich indirekt auch Frankreich erstmals für eine Änderung des Lissabonner Vertrages zur wirkungsvolleren Bestrafung von Defizitsündern aus. Bei der Bewertung der Wettbewerbsfähigkeit und der Schulden von Mitgliedsländern soll künftig ausdrücklich auch die "Verschuldung privater Haushalte" berücksichtigt werden. Nach den Feuerwehraktionen des Frühjahrs gehen die Mitgliedsländer damit zur Etablierung neuer Sicherheitsnetze gegen künftige Krisen über.
Denn erst musste ein 110 Milliarden Euro-Notkreditpaket für Griechenland geschnürt werden, schließlich wurde ein 750 Milliarden Euro-Rettungsschirm für allfällige weitere Pleitekandidaten beschlossen. Bevor die Staats- und Regierungschefs die Notfallmaßnahmen beschlossen, trafen sich Merkel und Sarkozy vorab mit Van Rompuy in dessen kleinem Büro und steckten die Grundlinien ab. Der Belgier gab sich nach außen stets bescheiden, bezeichnete sich auch unter der Hand mehr als Anlaufstelle für die Staats- und Regierungschefs denn als deren Präsident. Und parallel feilte er diskret an einer stärkeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit der EU, wie das Motto der von ihm geleiteten Arbeitsgruppe ("Task-Force") lautet.
Fokus auf Staatsschulden
Als Resultat dieser Beratungen der Finanzminister wurde bereits das sogenannte europäische Semester ab 2011 beschlossen. Demnach müssen die Regierungen die Grundannahmen für ihre Haushaltspläne wie Wachstum, Inflation, Defizit und Gesamtausgaben im Frühjahr nach Brüssel übermitteln. Die EU-Kommission prüft diese Angaben dann auf Plausibilität, das Ergebnis der Prüfung wird von den Finanzministern beraten. So könnten die Haushaltspläne schon frühzeitig aufeinander abgestimmt werden. Die Budgethoheit soll aber ausdrücklich bei den nationalen Parlamenten bleiben.
Diese Prozedur unterstützen auch der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble und seine französische Kollegin Christine Lagarde in dem Brief an Ratspräsident Van Rompuy. Für die Verschärfung des Stabilitätspakts verlangen sie "politische Sanktionen wie die Aussetzung der Stimmrechte von Mitgliedsstaaten, die in erheblichem Umfang und/oder wiederholt gegen gemeinsame Verpflichtungen verstoßen". Für diese Maßnahmen muss man den Lissabonner Vertrag ändern.
Für die Auslösung von Sanktionen soll künftig nicht nur die Überschreitung der berühmten Drei-Prozent-Grenze den Ausschlag geben. Vielmehr soll die Gesamtverschuldung der Länder eine Rolle spielen. Je weiter sich die Schulden eines Staates vom Referenzwert 60 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) entfernen, desto dringender sollen Sparprogramme durchgesetzt werden.
Manche dieser Vorschläge sind nicht ganz neu, sondern wurden von Van Rompuy und der "Task-Force" ausgearbeitet. Mit ihrem Brief stärken Berlin und Paris dem Ratspräsidenten daher auch den Rücken für die weitere Arbeit seiner Gruppe. Im Oktober sollen die Staats- und Regierungschefs dann darüber beraten. Wahrscheinlich werden Merkel und Sarkozy davor im Büro von Van Rompuy vorbeischauen.