CDU-Vorsitzkandidat Armin Laschet will das deutsch-französische Verhältnis stärken, sein Konkurrent Norbert Röttgen eine Ost-West-Kluft unterbinden. Gegenüber Russland schlägt Röttgen die kritischsten Töne aller Bewerber an.
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Es ist nur eine deutsche Wahl. Aber was im einwohnerstärksten Land der EU und in der wichtigsten Volkswirtschaft passiert, strahlt weit über die Bundesrepublik hinaus. Erst recht, wenn es die größte Regierungspartei betrifft. Jene Partei, welche die am längsten amtierende Regierungschefin in der Union stellt - Angela Merkel. Und der mit Ursula von der Leyen auch die Präsidentin der EU-Kommission angehört. Sie bekleidet als erste Deutsche seit mehr als einem halben Jahrhundert dieses Amt.
Und so wird die Entscheidung um den CDU-Vorsitz in der gesamten EU aufmerksam verfolgt. Am Samstag stellen sich die drei Kandidaten zur Wahl: Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet, der ehemalige Fraktionschef Friedrich Merz und Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Von den drei Bewerbern sammelte einer, Friedrich Merz, auch Erfahrung im Europaparlament. Der mittlerweile 65-Jährige gehörte dem Abgeordnetenhaus von 1989 bis 1994 an; anschließend zog er erstmals in den Bundestag ein.
Merz plädierte vor kurzem dafür, die Türkei ökonomisch stärker an die EU zu binden. "Sinnvoll wäre ein erweiterter europäischer Wirtschaftsraum, der zum Beispiel eine Teilnahme am EU-Binnenmarkt ermöglicht, ohne dass das Land auch die Rechte einer EU-Vollmitgliedschaft damit erwirbt", sagte er gegenüber der Funke-Mediengruppe. Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei liegen seit Jahren auf Eis, sind aber nicht offiziell abgebrochen.
Merz schwebt vor, das Türkei-Modell in späterer Folge auch auf Russland anzuwenden. Sein Konkurrent Röttgen schlägt gegenüber Kreml-Chef Wladimir Putin die kritischsten Töne an: "Es gibt nur eine Sprache, die Putin versteht: Geld und Gas", meinte er kurz nach dem Giftanschlag auf Russlands führenden Oppositionellen, Alexej Nawalny, hinter dem mutmaßlich staatliche Akteure stecken. Röttgen fordert, den Baustopp der Erdgaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland - ein Projekt, zu dem Merkel immer eisern gestanden ist. Auch erinnert Röttgen an Putins Unterstützung für Weißrusslands Diktator Alexander Lukaschenko, der sich nach der gefälschten Präsidentschaftswahl im vergangenen Sommer mit allen Mitteln an der Macht hält.
Drei Transatlantiker
Röttgens Positionen zu Putin, Nord Stream 2 und Lukaschenko finden Gefallen bei der nationalkonservativen polnischen Regierung. Und in der künftigen EU-Außenpolitik mahnt der CDU-Kandidat ein, Warschau mit ins Boot zu holen, um eine Ost-West-Kluft zu verhindern. Hingegen betont Armin Laschet die Bedeutung des traditionellen deutsch-französischen Motors in der Union. Beide Länder müssten vorangehen, "offen für alle anderen. Das wird irgendwann zu Mehrheitsentscheidungen führen."
In der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) gilt jedoch das Einstimmigkeitsprinzip. Theoretisch wäre eine Abkehr hin zur qualifizierten Mehrheit möglich, die 55 Prozent der Mitgliedstaaten und 65 Prozent der Unionsbevölkerung entspricht. Dem müssten die Staats- und Regierungschefs aber zustimmen - und zwar einstimmig. In der Praxis scheitern entsprechende Ansinnen seit Jahren in schöner Regelmäßigkeit.
Deswegen gibt es das Instrument der "verstärkten Zusammenarbeit". Für eine solche sind mindestens neun Staaten nötig, sie brauchen für ihr Vorhaben aber wiederum eine einstimmige Mehrheit. Da auch dieses Mittel meist nicht funktioniert, agieren EU-Länder außerhalb der GASP mit kleineren Koalitionen der Willigen. Röttgen spricht nun fast wortgleich von einer "Gruppe der Willigen", Merz setzt auf "bilaterale Absprachen".
Bewegung wird auf jeden Fall in die Beziehungen zu den USA einkehren, wenn Donald Trump nicht mehr amtiert. Röttgen ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Eliten-Netzwerks "Atlantik-Brücke", Merz war dessen Vorstand. Auch für Laschet "sind und bleiben die USA unser bedeutendster Partner außerhalb der Europäischen Union". Alle drei CDU-Vorsitzkandidaten verurteilten die Erstürmung des Kapitols in Washington in der vergangenen Woche und übten Kritik an Trump. Noch am mildesten äußerte sich Merz: "Demokratien brauchen Demokraten. Und Demokraten müssen Wahlergebnisse akzeptieren." Röttgen forderte die Republikaner auf, "jetzt hier die Trennung zu vollziehen" vom noch amtierenden Präsidenten. "Wer mit Sprache Populismus und Polarisierung sät, erntet Hass und Gewalt", sagte Laschet.
Um das Verhältnis mit einem anderen Populisten wird sich der neue CDU-Vorsitzende kümmern müssen: Ungarns Premier Viktor Orban. Die Mitgliedschaft dessen Partei Fidesz in der Europäischen Volkspartei (EVP) ist seit 2019 ausgesetzt. Im EU-Wahlkampf bezichtigte Fidesz George Soros und den damaligen Kommissionschef Jean-Claude Juncker - ein EVP-Mitglied - der Förderung illegaler Migration. Auch die Einsetzung eines "Weisenrates", dem unter anderem Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel angehörte, brachte nichts. Das Drei-Personen-Gremium konnte sich nicht auf eine Meinung zu Fidesz einigen.
Wie mit Orban umgehen?
Die Fidesz-Mandatare im Europäischen Parlament sind weiter Teil der dortigen EVP-Fraktion. Zuletzt wurde Tamas Deutsch suspendiert. Er hatte in der Debatte um den Rechtsstaatlichkeitsmechanismus in der EU, gegen den sich Fidesz wie auch die Regierung in Warschau gewehrt hatte, EVP-Fraktionschef Manfred Weber mit der Gestapo und dem stalinistischen ungarischen Geheimdienst AVO verglichen.
Fidesz’ Mitgliedschaft in der Europäischen Volkspartei werde eine der ersten zu treffenden Entscheidungen für den neuen CDU-Chef sein, richtet CSU-Politiker Weber seiner Schwesterpartei aus. Über Jahre drückten aber beide Seiten der konservativen deutschen Union die Augen bei Orban zu - sei es aufgrund des enormen wirtschaftlichen Engagements der deutschen (Auto-)Industrie in Ungarn, der traditionell engen Beziehungen mit Fidesz oder der Mehrheitsbeschaffung. Schließlich stellt die Partei aus dem Zehn-Millionen-Einwohner-Land die viertgrößte Gruppe in der EVP-Fraktion. Webers Rufe nach einer baldigen Entscheidung könnten wie seine bisherigen Mahnungen verhallen.