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Berliner Kraftakt

Von KZ-Korrespondent Markus Kauffmann

Politik

Mehr Geld für Familienförderung. | Energie-Gipfel im Frühjahr geplant. | Hier auf Schloss Genshagen, 30 Kilometer Luftlinie südlich des Kanzleramts, liegt der alte Landrat Stubenrauch begraben. Ende des 19. Jahrhunderts hat er mit dem Bau des schiffbaren Teltow-Kanals den Grundstein für die Industrialisierung des Berliner Südens gelegt. Das Kabinett Merkel hofft nun, nach ihrer ersten Klausurtagung etwas vom Gründergeist auferstehen zu lassen: So sollen unter anderem mehr als vier Milliarden Euro in ähnliche Maßnahmen, nämlich für die Verkehrsinfrastruktur, gesteckt werden.


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Weitere sechs Milliarden sollen die Forschung und Entwicklung beleben, die international ins Hintertreffen geraten war. Einen doppelten Effekt - Impulse für den Mittelstand bei gleichzeitiger Reduzierung des CO2-Ausstoßes - soll die Förderung der Gebäudesanierung bringen. Bessere Abschreibungsmöglichkeiten, die Anrechenbarkeit von Handwerkerrechnungen und eine degressive Besteuerung werden den Mittelstand auf die Reform der Unternehmenssteuern vertrösten, die 2008 kommen soll. Über 9 Milliarden sind dafür vorgesehen.

Hoffen auf Aufschwung

Von dem insgesamt 25 Milliarden schweren "Wachstums- und Beschäftigungspaket" verspricht man sich eine merkliche Belebung der Konjunktur und insbesondere mehr Arbeitsplätze, das erklärte Hauptziel der Großen Koalition.

Die Regierung hält ihr Investitionsprogramm für zwingend, weil es den Schwung bringen soll, den man zur Sanierung der öffentlichen Haushalte braucht. Wie Kanzlerin Merkel in der abschließenden Pressekonferenz in Berlin meinte, könne man damit bis 2009 Investitionen von insgesamt 37 Milliarden Euro anschieben. Ab 2007 muss nicht nur die höhere Mehrwertsteuer verkraftet, sondern zur Abwechslung wieder einmal ein verfassungsgemäßer Bundeshaushalt vorgelegt werden, der laut Finanzminister Steinbrück auch die Maastrichter EU-Kriterien erfüllen soll.

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, zumal die Prognosen der Wissenschaft Morgenröte am Konjunkturhimmel andeuten und die Fußball-WM zusätzlichen Schub bringen wird.

Gleichzeitig legte Steinbrück am Dienstag noch einmal 50 Millionen auf die von ihm bereits eingeplanten 410 Millionen Euro Familienförderung drauf und kam damit der neuen Familienministerin von der Leyen entgegen. Besser gesagt, handelt es sich um einen Steuerverzicht für Kinderbetreuungskosten, damit künftig Eltern ihren Beruf besser mit ihren Familienpflichten in Einklang bringen können. Und zwar in einem Stufenmodell: Für kleinere Kinder wird es mehr, für größere etwas weniger Absetzbeträge geben. Details müssen noch festgelegt werden. Weitere drei Milliarden stehen für ein "Eltern- und Familiengeld" zur Verfügung, ab Januar 2007 sollen Eltern 67 Prozent ihres bisherigen Einkommens, bis zu 1.800 Euro monatlich für die Dauer eines Jahres als Lohnersatzleistung bekommen.

Noch in diesem Jänner will die Regierung Merkel eine Zwischenbilanz über die Wirksamkeit der Hartz-Reformen vorlegen. Für Anfang April kündigte die Regierungschefin einen "Energie-Gipfel" an, der zu einem Energie-Gesamtkonzept führen soll. Damit will man auf die jüngsten Verunsicherungen bei Gaslieferungen aus der Sowjetunion und die gestiegenen Erdölpreise reagieren. Müntefering versprach für diesen Herbst die "Neuordnung des Niedriglohnsektors".

Einige Querschüsse

Wie immer vor solchen Großereignissen fehlte es in den letzten Tagen nicht an Querschüssen, die von der Presse hochgespielt wurden. Die Ankündigung von Gesundheitsministerin Schmidt, im Frühjahr ein Konzept zur Gesundheitsreform vorzulegen, ließ aufhorchen, weil jeder weiß, wie viel Sprengkraft dieses Thema zwischen den Koalitionsparteien birgt. Auch Hessens Ministerpräsident Koch goss Öl ins Feuer, indem er den Ausstieg aus dem Atom-Ausstieg forderte. Und schließlich birgt auch der Begriff "Kombilohn" einiges Dynamit.

Merkel und ihr Vize Müntefering indes bemühten sich, diese Meinungsunterschiede nicht zu groß aussehen zu lassen. Was soll eine Gesundheitsministerin denn sonst tun, als über die Reform nachdenken, bei der "wir unter einem großen Handlungsdruck stehen" (Merkel)? Und über AKW werde nur im Rahmen eines Gesamtkonzepts zur Energieversorgung diskutiert. Was den Kombi-Lohn betreffe, darin waren sich die Spitzen einig, handle es sich derzeit nur um einen Streit um Worte. Schon jetzt bekämen rund 700.000 Menschen einen Kombi-Lohn, also einen staatlichen Lohnzuschuss, weil deren Arbeitseinkommen unter dem Hartz-IV-Arbeitslosengeld liegt, sagt Müntefering.

"Es war schön in Genshagen", schmunzelte der Vizekanzler; und wer ihn kennt, weiß, dass dies für ihn bereits ein emotionaler Ausbruch war. "Die Stimmung war teilweise fröhlich", sekundiert ihm seine sichtlich gelöste Chefin Merkel. Es scheint, als sei auf Schloss Genshagen der Plan aufgegangen, das Kabinett menschlich zusammenzuführen. Stimmung und Vertrauen sollen diese Ehe aus "Feuer und Wasser" über die volle Distanz bringen. Nach den Umfragen scheint dies zumindest derzeit zu gelingen.