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"Berlin's Burning"

Von Christine Zeiner

Europaarchiv

Berlin. Kurz nach 18 Uhr war es am Lausitzer Platz vorbei mit dem Volksfestidyll. Um die Ecke bogen Dutzende Polizisten: Schutzhelme, Schutzwesten, Schlagstöcke. Die "Revolutionäre 1. Mai-Demonstration" hatte wenige Meter entfernt am Kreuzberger Kottbusser Tor begonnen, die Polizei formierte sich - kein entspannender Anblick. Lieber wieder zurück in die Oranienstraße.


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Gerade dort, wo sich in den 1980er Jahren Autonome Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, gab es am vergangenen 1. Mai zum siebten Mal das harmlose "Myfest" mit Kinderunterhaltungsprogramm, Bands, DJs, gegrilltem Fleisch und Bier. Bürgerinitiativen hatten das Fest initiiert als Antwort auf die Ausschreitungen.

Die blieben 2009 trotzdem nicht aus: Es waren die schwersten seit vielen Jahren. Während in der Oranienstraße getanzt und getrunken wurde, nahm zwei Straßen weiter die Aggression zu, Demonstranten gegen Polizisten, Polizisten gegen Demonstranten. Steine, Flaschen, Knallkörper, Molotowcocktails flogen. "Scheiß Bullen!" "Scheiß Deutschland, das uns mit Hartz IV ruhig hält!" "Was soll die Scheiße, das ist doch kein Folterstaat!"

Auch dieses Jahr rechnet der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) mit Gewalt. Im Stadtteil Prenzlauer Berg ist dazu eine Neonazi-Demonstration angemeldet. Körting geht von 2000 bis 3000 rechtsextremen Teilnehmern aus und von 10.000 Gegendemonstranten. Um 18 Uhr findet dann wie jedes Jahr die "Revolutionäre 1. Mai Demo" statt. Für diese hoffe er, so Körting, eine "Repolitisierung" anstelle von Lust am Krawall.

"Holen wir uns die Stadt zurück"

"1. Mai 2010 - Berlin's Burning" heißt es auf der Webseite der antifaschistischen Linken. Es folgt ein langer Text zu den verhassten Arbeitslosenregelungen, niedrigen Löhnen, steigenden Kosten, zur Wirtschaftskrise und zu Finanzinvestoren: "Hohe Mieten und Verdrängung setzen die Stadt in Brand - lassen wir Investorenträume platzen, holen wir uns die Stadt zurück! An jedem Tag - und erst recht am Tag des Aufbegehrens, dem 1. Mai!"

Die Überlegung, dass der 1. Mai angesichts der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Bestehen der Bundesrepublik den Auftakt geben könnte für die Erhebung der Massen, lief im vergangenen Jahr ins Leere. Und heuer? "Es gibt keinen direkten Zusammenhang mit dem 1. Mai", sagt Dieter Rucht, Sozialwissenschaftler an der Freien Uni Berlin. "Wegen der Wirtschaftskrise wird es nicht mehr Handgreiflichkeiten geben." Allerdings begünstige die Krise die Stimmung: Diejenigen, die gewalttätig seien, fühlten sich deshalb stärker dazu berechtigt. "Immer mehr Menschen spüren zwar die prekäre Lage. Das heißt nicht, dass sie nun den ersten Mai für Proteste nützen." Wer noch einen Job hat, freut sich. Wer keinen mehr hat, hofft auf einen oder hat vielleicht schon resigniert.

Christian, Anfang 40, sucht seit Monaten eine Stelle. Er bekommt das Sozialgeld "Hartz IV". Von der antikapitalistischen Rhetorik der Demo-Veranstalter hält er nicht viel, in den Demos sieht er ein Relikt der 80er. "Das ist doch längst gegessen. Man will da Traditionen aufrechterhalten", sagt er.

Wenn sich die Lage nicht bessere, werde es bestimmt Reaktionen geben: "Aber da werden sich wohl neue Formen entwickeln."

"Die originär politisch motivierten Demonstrationen - gegen Ausbeutung, gegen Nazis - schätze ich sehr, denn sonst gibt es nicht viel sichtbare Solidarisierung", sagt ein Berliner, Ende 30. "Unheimlich ist mir aber diese Mixtur aus etwas ziellosen Aktivisten, Betrunkenen und Kids, die den 1. Mai in Kreuzberg als Anlass für sinnbefreite Gewalttätigkeiten nutzen." Volker Ratzmann, Strafverteidiger und Mitglied der Grünen in Berlin, sagt: "Viele von den Kids, die diesen Steinewerfertourismus machen, wachen danach plötzlich auf, wenn sie die Konsequenzen merken."

Heuer dürfen erstmals auf dem Myfest keine Flaschen und Dosen verkauft werden. Zudem nimmt die Demo einen anderen Routen-Verlauf: Myfest und Demonstranten sollen ganz von einander getrennt sein. Geht es nach der konservativen Union, müsste aber härter durchgegriffen werden. Die Deeskalationsstrategie des Senats von SPD und Linkspartei, die unter anderem ein weniger martialisches Auftreten der Polizei vorsieht, bezeichnet sie als gescheitert. Der Grüne Hans-Christian Ströbele hingegen sagt: Der 1. Mai 2009 sei ein Rückschlag gewesen. Doch "nach all unseren Erfahrungen können wir nicht in die 80er-Jahre zurückgehen. Nicht verschärfte Strafen, nicht Demonstrationsverbote, nicht Versammlungsverbote sind die Lösung". 2001 hatte die CDU die "Revolutionäre 1. Mai-Demo" verboten. Krawalle und Verletzte gab es dennoch.