Zum Hauptinhalt springen

Berlins synthetischer Diamant

Von Markus Kauffmann

Kommentare
Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Anderthalb Millionen Museumsbesucher in sechs Monaten - das ist selbst für das an Großereignisse gewöhnte Berlin sensationell - gezählt bei der MoMA-Ausstellung im Sommer 2004 in der Neuen Nationalgalerie.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Nach der Spaltung Berlins wollte man die im Westen verbliebenen Kunstsammlungen auf dem Kemperplatz (benannt nach dem legendären Gastwirt Kemper, der hier einen "Kaffeegarten" betrieben hatte) konzentrieren. Im Lauf der Jahrzehnte entwickelte sich das Areal am Rande des Tiergartens mit seinen Museen, Konzerthäusern, Bibliotheken und Instituten zum kulturellen Highlight.

Als Ludwig Mies van der Rohe den Auftrag für die Nationalgalerie erhielt, war er 76 Jahre alt. Er starb 1969, ein Jahr nach der Eröffnung. Ihre lichtdurchflutete Glas-Stahlkonstruktion ist zur Ikone der Moderne geworden. Neun Meter hohe Glasfassaden scheinen ein 4200 Quadratmeter großes Kassettendach zu tragen, das sieben Meter über die Fassade hinausragt.

Schlicht, klar und streng, wirkt die von allen Seiten einsehbare, stützenlose Halle dennoch schwebend leicht und transparent. Hier wird nun auch das "Metro", das New Yorker Metropolitan Museum, seine Schätze präsentieren, u.a. Renoir, van Gogh, Courbet, Monet, Manet, Pissarro, Delacroix, Picasso und Modigliani.

Im schroffen Gegensatz dazu steht die benachbarte Matthäi-Kirche, errichtet Mitte des 19. Jahrhunderts in einer Parklandschaft nach Plänen von Friedrich August Stüler Pate. Mit seiner hellen Fassade und dem schlanken hohen Turm erinnert das Gotteshaus an die heitere oberitalienische Romanik.

Wieder kontrastierend: die Philharmonie von Hans Scharoun. Der Vertreter der "organischen Architektur" schuf hier einen Solitär, der mit seinen mehrfach gebrochenen Fassaden aus goldfarbenem Aluminium an ein Zelt erinnert (Spitzname "Zirkus Karajani"). Der prismenartige Innenraum mit pentagonalem Grundriss garantiert beste Akustik und Sicht von allen Plätzen und diente vielen Konzertsälen als Vorbild.

Dicht daneben die "Kleine Philharmonie", der Kammermusiksaal: nach Entwürfen Scharouns gestaltet und 1987 von Karajan eingeweiht. Scharouns Assistent Edgar Wisniewski, der den Bau leitete, zeichnet auch für das 1984 fertiggestellte Musikinstrumenten-Museum verantwortlich. Hier ist, neben Flöten des Alten Fritz oder Bachs Cembalo, eine der größten Wurlitzer Theaterorgeln zu sehen und zu hören.

Als "Betonbunker" und "Brutalo-Architektur" steht das Kunstgewerbemuseum seit 1985 unter Dauerbeschuss. Gleichwohl enthält es eine der bedeutendsten Sammlungen europäischen Kunsthandwerks. Vom gleichen Architekten, Rolf Gutbrod, wurde das Haus des Kupferstichkabinetts und der Kunstbibliothek erbaut, das 1992 seine Pforten öffnete. Von Botticelli bis Beuys, von Dürer bis Picasso findet man hier 110.000 Handzeichnungen und eine halbe Million druckgraphischer Blätter.

Weiters zählen Staatsbibliothek, Ibero-amerikanisches Institut (Scharoun, 1978) und Wissenschaftszentrum (James Stirling, 1988) zum Kulturforum.

Ohne Gemäldegalerie (Hilmer & Sattler, 1997) wäre die Aufzählung unvollständig. Auf 7000 Quadratmetern führt ein zwei Kilometer langer Rundgang durch 72 Säle und Kabinette. Ich habe mich in das "Bildnis einer jungen Dame" von Petrus Christus (1450) verliebt; andere mögen vor Dürer, Caravaggio und Vermeer schwelgen oder vor Brueghels "Sprichwörtern" schmunzeln.

Das Kulturforum ist kein natürlich gewachsener, aber dennoch ein Diamant. Das einigende Band um all die divergierenden Bauten ist ihr Zweck: Ein Erlebnis-ort von hoher geistiger Dichte, ein funkelnder Ort der Besinnung, Belehrung und Begeisterung.