In Bedrängnis geratener Premier schlägt um sich. | Umfragen sehen Berlusconi in einem Rekordtief. | Dissonanzen mit Präsident Napolitano. | Wien/Rom. Die Massenproteste der Frauen, an denen am Sonntag in mehr als 230 Städten Italiens und darüber hinaus in mehreren großen europäischen und amerikanischen Städten mehr als eine Million Menschen teilgenommen haben, sind für Italiens in Bedrängnis geratenen Regierungschef Silvio Berlusconi nichts anderes als eine "Schande" und eine "aufrührerische Mobilisierung", um "ein Theorem der Justiz" gegen seine Person zu unterstützen.
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"Ich habe die Frauen immer geschätzt", meinte Berlusconi am Montag und ritt einmal mehr heftige Attacken gegen die Justiz: "Die Staatsanwaltschaft Mailand trampelt mit Füßen auf der Würde meiner Gäste und der Wahrheit herum".
In den Protesten der letzten Tage sieht der Regierungschef nichts als das Ergebnis einer "aufrührerischen Meinungsmache gegen meine Person". Der Linken sei jeder Vorwand recht, weil sie es nicht schaffe, ihn in Wahlen zu schlagen, meinte Berlusconi in einem Auftritt im familieneigenen TV-Sender Canale 5.
Und tatsächlich hat Berlusconi allen Grund, sich Sorgen zu machen. Nach dem Bekanntwerden seiner jüngsten Skandale befindet sich seine Popularitätskurve im steilen Sinkflug. Nur mehr 30 Prozent der Italiener billigen seine Amtsführung, weniger als bei seinem seinerzeitigen Tiefststand im September 2005, als man ihm für die im darauffolgenden Jahr stattfindenden Parlamentswahlen einen Absturz voraussagte - der dann allerdings nicht in der erwarteten Höhe eingetreten ist.
Mehrheit glaubt an Berlusconis Schuld
Mehr als 59 Prozent der Italiener glauben, dass die von den Staatsanwälten vorgebrachten Anschuldigungen gegen Berlusconi wahr sind, nur knapp 20 Prozent sind vom Gegenteil überzeugt. Aber 52,8 Prozent glauben auch, dass er trotz Schuld nicht verurteilt wird, nur 10,8 Prozent glauben an eine Verurteilung.
Im Gegensatz zu Berlusconi gewinnt der 85-jährige Präsident Giorgio Napolitano, der in den letzten Tagen Berlusconi mehrmals zur Ordnung gerufen hat und nicht bereit war, Regierungsdekrete ohne parlamentarische Behandlung zu unterzeichnen immer mehr an Zustimmung. Mehr als 81 Prozent der Italiener haben Vertrauen zu ihrem Präsidenten, rund zehn Prozent mehr als vor einem Jahr.
Bei einem Treffen am vergangen Freitag hatte Napolitano angesichts der jüngsten Attacken Berlusconis auf die Justiz vor allzu schrillen Tönen gewarnt. Wenn die gegenwärtigen Spannungen nicht im Zaum gehalten werden könne, sei die Legislaturperiode in Gefahr, soll der Präsident dem Regierungschef mitgeteilt haben. Davon will aber Berlusconis Regierungspartei PdL (Volk der Freiheit) nichts wissen. Die Berlusconi gehörenden, beziehungsweise nahestehenden Zeitungen "Il Giornale" und "Libero" beginnen sich bereits auf den Präsidenten einzuschießen. Sie vergleichen Napolitano mit Oscar Luigi Scalfaro, der als Präsident im Jahr 1994 die erste Regierung Berlusconis nach Hause geschickt hatte, nachdem die Lega Nord aus der Regierungsmehrheit ausgeschieden war.
Berlusconis Anhänger sind der Meinung, dass die Mehrheit diesmal ungefährdet sei. Ein Teil der Lega um Innenminister Roberto Maroni teilt diese Einschätzung aber nicht hundertprozentig und sieht das Risiko von Neuwahlen als real an.
Berlusconis Streit mit Christdemokraten
Wie nervös der Regierungschef agierte wurde in der Vorwoche auch nach dessen Ausfall gegen die oppositionelle christdemokratische UDC deutlich. Wegen der Angriffe aus der UDC wegen seiner Sexaffären hatte Berlusconi die Chefs regionaler Mitte-Rechtsregierungen aufgefordert, UDC-Vertreter aus den Verwaltungen hinauszuwerfen. Einen Tag später ruderten führende PDL-Vertreter bereits wieder zurück und meinten, man müsse einen solchen Schritt von Fall zu Fall prüfen.
In sechs Regionen, in denen die auf nationaler Ebene oppositionelle UDC von Pier Ferdinando Casini mit den Rechtsparteien Koalitionen eingegangen ist, wären die Mitte-Rechts-Bündnisse nach einem Hinauswurf der Christdemokraten nicht mehr lebensfähig - in Latium, Kampanien, Friaul-Julisch Venetien, Sardinien, Molise und Kalabrien. Und auch die bei den im Frühjahr anstehenden Kommunalwahlen geplanten Bündnisse wären Schall und Rauch und damit die Chancen der Rechten bedeutend geringer.