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Berlusconi richtet sich's wieder

Von Christian Spillmann

Politik

Rom - "Schande" skandieren wütende Demonstranten vor dem italienischen Senat in Rom. Mehrere hundert Demonstranten hatten sich dort am Donnerstagabend versammelt, um gegen eine umstrittene Gesetzesänderung zu protestieren, die den italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi einmal mehr in zweifelhaftem Licht erscheinen lässt. Auch im Senat selbst wurde äußerst heftig debattiert. Trotzdem stimmte das von den Konservativen dominierte Haus schließlich mehrheitlich für die Reform, die es Angeklagten ermöglichen soll, einen Richter wegen Befangenheit abzulehnen und die Verlegung ihres Prozesses an einen anderen Ort zu verlangen.


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Mehrere Senatoren der Opposition erschienen mit verbundenen Augen zur Debatte, "um den Horror nicht mitansehen zu müssen". Aus Protest gegen die Neuregelung boykottierten nahezu alle Oppositionspolitiker das Votum. Der Entwurf passierte den Senat deshalb deutlich mit 162 Ja-Stimmen bei nur neun Gegenstimmen und einer Enthaltung.

Die Änderung sieht vor, dass ein Prozess in eine andere Stadt verlegt werden kann, wenn der Beschuldigte den "berechtigten Verdacht" hat, dass der zuständige Richter parteiisch ist. Stellt der Angeklagte einen Antrag auf Verlegung, soll das Verfahren sofort unterbrochen werden. Erst wenn das Kassationsgericht den Vorwurf abgelehnt hat, soll der Prozess fortgesetzt werden. Lässt das Gericht die Beschwerde zu, fängt das Verfahren wieder bei Null an.

Kritiker bemängeln, die Gesetzesänderung sei "maßgeschneidert für den Ministerpräsidenten und einige seiner Freunde". Gegen den 65-jährigen Unternehmer und Medienmagnaten laufen seit 1996 Klagen wegen Bestechung von Richtern und Staatsanwälten sowie Bilanzfälschung im Zusammenhang mit dem Rückkauf des Lebensmittelkonzerns SME durch seinen Konzern Fininvest 1985. Der Prozess gegen Berlusconi wird vor einem Gericht in seiner Heimatstadt Mailand verhandelt. Die Anwälte des Regierungschefs haben den Richtern bereits Parteilichkeit vorgeworfen und die Verlegung des Prozesses ins norditalienische Brescia gefordert.

Berlusconi versichert, er habe keinen Einfluss auf die Gesetzesänderung genommen. Schließlich habe jeder Bürger einen berechtigten Anspruch auf einen unparteiischen Richter, sagt er. Den Vorwurf, die Gesetzesänderung sei genau auf seine Interessen zugeschnitten, tut der Regierungschef als politisch motiviert ab. Aus seiner Abneigung gegen die Mailänder Richter macht er allerdings kein Hehl und schimpft sie "Kommunisten", die sich in die Politik einmischten.

Der Herausgeber der linksliberalen Zeitung "La Repubblica", Ezio Mauro, sieht das anders. Die Italiener hätten ein Recht, zu erfahren, ob Berlusconi "schwerer Verbrechen, die im Ausland hart geahndet werden, schuldig ist oder nicht". Den "inakzeptablen Vorwürfen gegen einen Regierungschef" müsse ein Ende gemacht werden. Seit seiner Amtsübernahme mache Berlusconi Gesetze, um sich einen Passierschein ausstellen zu können, der es ihm erlaube, sich der Justiz zu entziehen.

Um seine Vorwürfe zu untermauern, erinnert der Herausgaber an die neu eingeführte Straffreiheit bei Bilanzfälschungen, die Behinderung von internationalen Rechtshilfeersuchen gegen Berlusconi und das nach Protesten der Opposition vorläufig eingestellte Vorhaben, Abgeordneten juristische Immunität zu verschaffen. Diese hätte die vorläufige Einstellung laufender Verfahren gegen Berlusconi und Parteikollegen zur Folge gehabt.

Im Herbst muss das neue Gesetz noch vom Abgeordnetenhaus verabschiedet werden, wo Berlusconis Mitte-Rechts-Koalition ebenfalls die Mehrheit hält. Passiert der Entwurf das Parlament ohne Änderungen, tritt die Gesetzesänderung mit ihrer Veröffentlichung in Kraft. Sie gilt dann auch für bereits laufende Verfahren wie zum Beispiel den Prozess in Mailand. Dort sollen die Richter eigentlich im Oktober das Urteil gegen Berlusconi fällen.