PdL will nur das Abgeordnetenhaus neu wählen lassen. | Berlusconis Arbeitsminister spricht von Verrat. | Entscheidung über Neuwahlen liegt bei Präsident Napolitano. | Wien/Rom. Nach dem jüngsten Wirbel rund um seine Beziehungen zu dem gerade 18 Jahre alt gewordenen marokkanischen Party-Girl Ruby musste Italiens Premierminister Silvio Berlusconi am Montag einen neuen politischen Tiefschlag hinnehmen.
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Die vier Anhänger von Parlamentspräsident Gianfranco Fini, die nach dem Bruch zwischen Premier und Parlamentspräsident noch immer der Regierung angehörten - Europaminister Andrea Ronchi, der stellvertretende Außenhandelsminister Adolfo Urso und die beiden Staatssekretäre Antonio Buonfiglio und Roberto Menia -, übergaben am frühen Nachmittag ihre Demissionsschreiben.
"Wir haben Berlusconi zum Rücktritt aufgerufen. Er hat negativ reagiert, jetzt treten wir zurück, um frei unsere politische Linie verfolgen zu können." Mit diesen trockenen Sätzen begründeten die vier Regierungsmitglieder der neuen Fini-Partei FLI (Futuro e Liberta - Zukunft und Freiheit) ihren Rücktritt.
Gleichzeitig kündigte der FLI-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Italo Bocchino, an, dass seine Partei zu einer Allianz mit der Opposition bereit sei, wenn Berlusconi stürzt. Wenn es dazu kommt, sollte eine Übergangsregierung die Führung des Landes übernehmen. Deren Hauptaufgabe wäre vor allem die rasche Verabschiedung eines neuen Wahlrechts.
Der zurückgetretene Vizeminister Adolfo Urso, der auch Koordinator der FLI ist, unterstrich, dass seine Partei nach Wahlen eine neue Mitte-Rechts-Regierung anstrebe, der auch die oppositionellen Christdemokraten (UDC) des früheren Kammerpräsidenten Pier Ferdinando Casini, die autonomistische Bewegung des sizilianischen Gouverneurs Raffaele Lombardi (MPA) und die Allianz für Italien (API) von Francesco Rutelli, die sich von der oppositionellen demokratischen Partei (PD) abgespalten hat, angehören sollen. Nach jüngsten Umfragen könnten diese Zentrumsparteien mit Unterstützung des Ferrari-Managers Luca Cordero di Montezemolo, dem schon lange Interesse auf einen Einstieg in die Politik nachgesagt wird, auf 18 Prozent kommen.
PdL mauert für Berlusconi als Premier
Berlusconis Anhänger schäumen über den Rückzug der Fini-Anhänger aus dem Kabinett. "Damit ist der Verrat perfekt", meinte Arbeitsminister Maurizio Sacconi von der Regierungspartei PdL (Popolo della Liberta - Volk der Freiheit).
Berlusconi selbst, der seinen Rücktritt bisher konsequent ausgeschlossen hat, wird bis zum Ende tricksen. Seine Anhänger haben in einer eilig einberufenen Dringlichkeitssitzung am vergangenen Freitag klargestellt, dass es als Alternative zu Berlusconi als Regierungschef nur Neuwahlen geben könne. Allerdings strebt die PdL Neuwahlen nur im Abgeordnetenhaus an, wenn Berlusconi die Vertrauensabstimmung im Senat, wo er noch über eine knappe Mehrheit verfügt, übersteht. Eine Wahl nur einer Parlamentskammer wäre nach der italienischen Verfassung zwar möglich, ist seit den Fünfzigerjahren aber nie mehr vorgekommen. Damals wurden die unterschiedlichen Legislaturperioden von Senat und Abgeordnetenkammer angeglichen. Bis dahin wurde der Senat alle sechs Jahre gewählt und das Abgeordnetenhaus alle fünf Jahre.
Politbeobachter weisen darauf hin, dass auch Berlusconis Vorgänger Romano Prodi 2008 ja nur im Senat die Mehrheit verloren hatte und trotzdem beide Kammern neu gewählt wurden.
Berlusconi jedenfalls hat nach einem Misstrauensantrag der PD im Abgeordnetenhaus zunächst angekündigt, dass er sich nach der Verabschiedung des Budgets im Senat einer Vertrauensabstimmung stellen will, wo er derzeit noch eine knappe Mehrheit hat. Die Opposition warf ihm daraufhin vor, in letzter Verzweiflung sich einem Misstrauensvotum im Abgeordnetenhaus entziehen zu wollen. Nach heftigem Tauziehen und einer ganzen Reihe von Sitzungen konnten schließlich enge Parteifreunde den Premier zu einer Korrektur seiner Linie bringen. Berlusconi will jetzt zuerst dem Senat über die neue Lage nach dem Rücktritt der Fini-nahen Regierungsmitglieder berichten und anschließend dem Abgeordnetenhaus, wo dann auch über den bereits eingebrachten Misstrauensantrag von PD und IDV und über einen von den Zentrumsparteien FLI, UDC, API und MPA angekündigten abgestimmt werden soll.
Fini mahnt Würde der Politführung ein
Der Präsident des Abgeordnetenhauses Gianfranco Fini legte im Streit mit Berlusconi am Montag noch ein Schäuferl nach. Bei der Präsentation eines Berichtes zum Thema "Italien, wie es ist", an der auch Staatspräsident Giorgio Napolitano und der Staatssekretär im Amt des Regierungschefs, Gianni Letta, teilnahmen, mahnte er Würde und Ehre der politischen Führungsklasse ein. "Die Führungsschicht ist verantwortlich dafür, dass das Gefühl für Würde, Verantwortung und Pflicht verlorengegangen ist, dem gerade die entsprechen müssen, die öffentliche Ämter ausüben. Bürger, denen öffentliche Aufgaben überantwortet wurden, haben die Pflicht, diese mit Disziplin und Ehrenhaftigkeit auszuüben, wie es ein Artikel der Verfassung vorsieht, der zu den am wenigsten zitierten und bekannten gehört", sagte Fini.
Präsident entscheidet über Neuwahlen
Die Kanzlei von Staatspräsident Giorgio Napolitano wies angesichts der laufenden Spekulationen darauf hin, dass es letzten Endes nur dem Präsidenten zustehe, über Neuwahlen zu entscheiden. Dazu werde es aber erst nach der Verabschiedung des Budgetgesetzes Ende dieses Monats kommen. Heute, Dienstag, empfängt Napolitano die Präsidenten von Senat und Abgeordnetenhaus, Renato Schifani und Gianfranco Fini zu Beratungen der Lage. Das Berlusconi-Lager will Neuwahlen sobald wie möglich durchführen. Montagabend beriet der Premier mit seinen engsten Vertrauten über die weitere Vorgangsweise. Bereits vor dem Treffen wurde über einen Wahltermin im Jänner spekuliert.
PdL unter 30-Prozent-Marke gerutscht
Nach dem jüngsten privaten Eskapaden des Premiers gilt nicht einmal mehr als sicher, dass die PdL bei Neuwahlen stärkste Kraft wird. Die Berlusconi-kritische Zeitung "la Repubblica" veröffentlichte am Montag neueste Umfragen, nach denen die PdL deutlich unter die 30-Prozent-Marke gerutscht ist und die Demokratische Partei in einer Allianz mit Antonio di Pietros IDV (Italia dei Valori - Italien der Werte) durchaus Chancen auf eine Mehrheit hat. Berlusconis PdL und Umberto Bossis Lega Nord sind nach diesen Umfragen in der Wählergunst bereits unter die 40-Prozent-Grenze gerutscht.
Angesichts dieser Alarmzeichen fragen sich Politbeobachter schon, wie lange die Lega Nord noch im Boot bleibt. Selbst beim Koalitionspartner PdL mehren sich die Ängste, dass Bossi im Tausch gegen die Verabschiedung des Föderalismusgesetzes zu einer Zusammenarbeit mit einer Übergangsregierung bereit sein könnte. Umso mehr als Bossi Berlusconis Plänen, die christdemokratische UDC ins Regierungslager zurückzuholen, entschieden ablehnt.