Scajola verlässt die Regierung, "um sich zu verteidigen". | Zweiter Rücktritt in acht Jahren. | Fini gründet liberale Bewegung. | Wien/Rom. Claudio Scajola, Industrieminister und engster Vertrauter des italienischen Regierungschefs Silvio Berlusconi, hat am Dienstag seinen zweiten Rücktritt von einem Ministeramt binnen acht Jahren eingereicht.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Seit Tagen hatten die italienischen Medien über Korruption im Zusammenhang mit dem Kauf einer Wohnung im Herzen Roms mit Blick auf das Kolosseum durch Scajola berichtet. Angeblich sollen beim Kauf Schecks des Geschäftsmannes Diego Anemone im Spiel gewesen sein, der eine Schlüsselfigur im Korruptionsskandal um millionenschwere Bauaufträge für den G-8-Gipfel in LAquila im Juli 2009 ist.
Scajola sieht sich als Opfer einer Medienkampagne. "Um mich zu verteidigen, kann ich nicht weiter Minister bleiben" sagte er in einer Pressekonferenz am Dienstagmorgen, bei der keine Fragen zugelassen waren. "Ein Minister darf nicht unter Verdacht stehen, in einer Wohnung zu leben, die von anderen bezahlt wurde".
Zuvor hatte die italienische Regierungspartei PdL tagelang gemauert und die immer stärker werdenden Rufe der Opposition nach einem Rücktritt des Industrieministers strikt zurückgewiesen. Berlusconi war bis zuletzt hinter Scajola gestanden, auch als sich im Regierungslager schon die ersten Absetzbewegungen offenbarten. So hatte der PdL-Fraktionschef im Senat, Maurizio Gasparri, in einer Sendung des Berlusconi-TV-Senders "Canale 5" Scajola zu überlegen gegeben, ob er seine Verteidigung besser mit oder ohne Ministeramt bewerkstelligen könne.
Berlusconi verliert mit Scajola, der aus der ehemaligen christdemokratischen Partei stammt und seit 1995 Mitglied der diversen Berlusconi-Parteien ist, einen vertrauten Streiter. Als Nationaler Verantwortlicher für die Parteiorganisation hatte Scajola die Weichen dafür gestellt, dass Berlusconi bei den Wahlen 2001 wieder an die Macht zurückkehren konnte. Scajola wurde dafür mit dem Amt des Innenministers betraut. Im Zusammenhang mit dem harten Durchgreifen der Polizei beim G-8-Gipfel von Genua im Juli 2008, bei dem ein Demonstrant getötet wurde, stand Scajola schon kurz darauf im Kreuzfeuer der Opposition.
Am 4. Juli 2002 musste er als Innenminister den Hut nehmen, nachdem er den bei einem Attentat ermordeten Regierungskonsulenten Marco Biagi, dem er zuvor eine Eskorte verweigert hatte, in einem Gespräch mit Journalisten während eines offiziellen Besuches in Zypern beleidigt hatte. "Er war eine Nervensäge, die nur die Erneuerung seines Konsulentenvertrages wollte. Wenn er eine Eskorte gehabt hätte, gäbe es jetzt nicht nur einen Toten, sondern drei", meinte Scajola damals zu Journalisten.
Im August 2003 holte ihn Berlusconi aber wieder in seine Mannschaft, als Minister für das Regierungsprogramm. Und nach zwei Jahren auf der Oppositionsbank wurde Scajola im Mai 2008 Industrieminister.
Scajolas Rücktritt war am Dienstag aber nicht die einzige Horrormeldung für Silvio Berlusconi. Die Staatsanwaltschaft nahm auch Ermittlungen gegen den bekannten Industriellen und PdL-Senator Giuseppe Ciarrapico auf. Ihm, seinem Sohn Tullio und weiteren fünf Personen wird vorgeworfen, zwischen 2002 und 2007 öffentliche Förderungsgelder für Zeitungen in Höhe von 20 Millionen Euro illegal erhalten zu haben.
Und auch im Streit mit seinem parteiinternen Herausforderer, Parlamentspräsident Gianfranco Fini, zeichnet sich keine Entspannung ab. Fini will am kommenden Wochenende seine eigene liberale Bewegung "Generazione Italia" gründen, die sich für eine tiefgreifende Erneuerung der Politik im Land einsetzen will.
Keine neue Partei
Seit Monaten übt Fini Kritik an der vor einem Jahr mit Berlusconi gegründeten Mitte-Rechts-Partei "Volk der Freiheit" (PdL) wegen schwacher interner Demokratie und Mangel an lokaler Verankerung in den italienischen Regionen.
"Generazione Italia" ist weder eine neue Gruppierung, noch ein neuer Parteiflügel. Fini hat trotz des Streits mit Berlusconi keine Absicht, die Partei zu verlassen. Offiziell startet "Generazione Italia" mit einem Treffen in Perugia, das unter dem Motto "Ziel Zukunft" steht. Die politische Initiative Finis sucht nach Verbündeten. Ein Gesprächspartner ist die zentrumsorientierte Bewegung "FareFuturo" um den Ferrari-Präsidenten Luca Cordero di Montezemolo, die für eine Modernisierung des Landes arbeiten und extern Druck auf die Politik ausüben will.