Mit dem Ableben des Ex-Premiers droht auch seine Partei Forza Italia zugrunde zu gehen.
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Nach dem Tod von Silvio Berlusconi hält Italiens Politik inne. Abstimmungen in der römischen Abgeordnetenkammer sind bis nächsten Montag ausgesetzt. Für Mittwoch, dem Tag des großen Staatsbegräbnisses im Mailänder Dom, hat Ministerpräsidentin Giorgia Meloni Staatstrauer ausgerufen. Termine von Regierungsvertretern fallen ins Wasser, die grün-weiß-roten Flaggen wehen auf halbmast. Außenminister Antonio Tajani eilte eigens von seinem Staatsbesuch in den USA zurück nach Italien.
Der Vizepremier und Koordinator von Berlusconis Partei Forza Italia (FI) sei stundenlang wie betäubt gewesen, schreibt die Tageszeitung "Corriere della Sera", als er vom Ableben seines Weggefährten erfahren hatte.
Für jene liberal-konservative Partei mit Hang zum Rechtspopulismus, die der Medien-Tycoon als neue Kraft der Mitte in den 1990er Jahren aus der Taufe hob, beginnen bange Tage und Wochen. Die Befürchtung vieler Beobachter: Forza Italia könnte mit Berlusconi zu Grabe getragen werden.
"Titanic"-Stimmung bei Forza Italia
Wie ernst es um die Lage der Partei bestellt ist, zeigt die Einberufung des FI-Präsidiums nur einen Tag nach dem Tod des Parteivaters. Der Geschäftsbericht der Partei will abgesegnet werden. Die Finanzen sprechen eine unverkennbare Sprache. Mehr als 90 Millionen Euro an Verbindlichkeiten, die auf mehr als 100 Millionen Euro anzuwachsen drohen, belasten die FI-Kasse. Nur dank der Bürgschaft durch den Schöpfer und Boss Berlusconi blieb der Parteiapparat weiter liquide. Nun wird Berlusconis Familie nicht nur für deren wirtschaftliches Vermächtnis verantwortlich sein, sondern auch für dessen politisches Lebenswerk finanziell eintreten müssen. Es gilt zwar als unwahrscheinlich, dass Berlusconis Sprösslinge deren Unterstützung versagen.
Doch noch schwerer als Ungewissheit über die Parteikassen wiegt die politische. Die italienische Nachrichtenagentur "Ansa" spricht von einer "Stimmung wie auf der ‚Titanic‘", von einer "drohenden Diaspora" von Mitgliedern und Funktionären. Die Partei ist - als Garant eines proeuropäischen und liberalen Kurses, wie Berlusconi stets betonte - zwar Juniorpartner in der rechten Regierungskoalition um Giorgia Meloni, stellt fünf Minister. Das Zepter ist jedoch fest in der Hand Melonis.
Zudem verliert die Partei seit Jahren an Wählergunst. Viele Stimmen wanderten zu den Koalitionspartnern am rechten Rand, zudem fischen auch die jungen Zentrumskräfte "Azione" und "Italia Viva" der ehemaligen Sozialdemokraten Carlo Calenda und Matteo Renzi im Topf von Forza Italia.
Auch der Abgang wichtiger Mitarbeiter hat Forza Italia personell geschwächt. Nachdem Berlusconi gemeinsam mit Matteo Salvini, und unter Mitwirkung der Fünf-Sterne-Bewegung, im Sommer 2022 Ministerpräsident Mario Draghi aus dem Amt bugsierte, suchten dutzende Parlamentarier und die drei im Kabinett des EZB-Chefs vertretenen FI-Minister das Weite - und heuerten bei der politischen Konkurrenz an. Die Partei erreichte bei den Wahlen im September 2022 mit nur rund 8 Prozent einen absoluten Tiefpunkt.
Nach der Entlassung Berlusconis aus dem Krankenhaus vor wenigen Wochen hatte dieser eine tiefgreifende Umstrukturierung der Gruppierung in Hinblick auf die EU-Parlamentswahlen 2024 versprochen. Nun fehlt jemand, der in seine großen Fußstapfen treten könnte.
"Keine Weiterbestehenohne Berlusconi"
Der Ex-Premier habe es verschlafen, die richtigen Personen für seine Nachfolge in Stellung zu bringen, meint Giuliano Urbano, Politologe und Forza-Italia-Mitbegründer gegenüber der Tageszeitung "La Repubblica". Er sieht keine Zukunft für die Partei: "Keine Ahnung, was das Personal tun wird, aber die FI-Wähler sind bereits bei Giorgia Meloni, die es versteht, sich als gemäßigte Leaderin zu geben." Möglich sei laut ihm ein Aufgehen von FI in der postfaschistischen Partei Melonis, den Fratelli d’Italia. Ähnlich pessimistisch sieht der Berlusconi-Freund und Kulturstaatssekretär Vittorio Sgarbi die Zukunft von FI: "Die Partei kann ohne Berlusconi nicht existieren, und sie nach seinem Tod weiterleben zu lassen, wäre ein schwerer Fehler." Laut ihm habe Berlusconi kurz vor seinem Tod von der Gründung einer neuen Partei sinniert.
Tajani, der als Nummer zwei bei FI in der Pole-Position steht, das Ruder zu übernehmen, spricht hingegen von der "Pflicht, weiterzumachen". An Erfahrung mangelt es dem ehemaligen EU-Kommissar und -Parlamentarier nicht. Doch sein Charisma dürfte nicht an jenes seines Vorgängers reichen.