Erste-Group-Chef Bernd Spalt über nicht ausgefallene Kredite, wirtschaftliche Umbrüche und Gewissen als neue Rendite.
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Wiener Zeitung: Herr Spalt, Sie sind Schachspieler. Im Schach gibt es immer diesen einen Zug, der unumkehrbar zum Sieg oder zur Niederlage führt. Das Gegenüber weiß oft nicht sofort, dass es schon verloren hat, aber in spätestens drei bis vier Zügen. Gab es für Sie im Corona-Jahr 2020 so einen Gamechanger-Moment?Bernd Spalt: Ich spiele leidenschaftlich gerne Schach und kenne dieses Gefühl: "The tables are turning." Für mich persönlich war das ein Termin im Bundeskanzleramt, ganz am Anfang der Krise. Damals wurden die CEOs großer Unternehmen einberufen, und es wurde erklärt, dass nun alles abgeschaltet und nur die kritische Infrastruktur aufrechterhalten wird. Das war für mich ein sehr wesentlicher Moment, auch im Selbstverständnis, dass wir als Finanzsystem zur kritischen Infrastruktur zählen. Das ist ein großes Privileg. Wenn man an 2008/2010 zurückdenkt, dann waren die Banken Verursacher einer sehr großen Wirtschaftskrise. Jetzt haben wir eine andere, exogen induzierte Wirtschafts- und Gesundheitskrise, bei der wir Teil der Lösung sind.
Die Pandemie hat weite Teile der Realwirtschaft in die Knie gezwungen, die Staatskassen sind leer. Der Finanzwirtschaft geht es aber sehr gut, der Aktienmarkt boomt. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Ich widerspreche einigen Ihrer Aussagen fundamental. Ich habe zum Beispiel Schwierigkeiten mit der Differenzierung zwischen Finanz- und Realwirtschaft. Es gibt nur eine Wirtschaft, wo jeder seine Rolle spielt. Es gibt sehr viele, die gelitten haben, die nachher nicht mehr hier sein werden. Aber es gibt mindestens so viele, die in der Krise mit ihren Geschäftsmodellen gewonnen haben. Die produzierende Wirtschaft ist auf dem Vorkrisenniveau. Der Staat hat dort, wo es eng ist, massiv mit Förderprogrammen eingegriffen. Und auch wenn sie nicht immer effizient waren, waren sie sehr effektiv. Es gibt keine Insolvenzwelle. Wir sprechen immer darüber, was nicht gut läuft. Aber es besteht die Chance, dass Österreich, wenn die Impfungen bis zum Frühsommer gut über die Bühne gehen, sehr gut aus der Krise herauskommt. Und ich glaube auch nicht, dass die Staatsfinanzen leer geräumt sind. Der Staat hat zwar sein Schuldenniveau erhöht, aber in einem Negativzinsumfeld. Er muss also weniger zurückzahlen, als er aufnimmt. Mir fehlt allerdings die Debatte, wie wir nachhaltig Arbeitsplätze und eine attraktive Zukunft für unsere Kinder schaffen können. Wir hanteln uns von Pressekonferenz zu Pressekonferenz, suchen Schuldige, das ist total sinnlos.
Stichwort Insolvenzen: Mit wie vielen Ausfällen rechnen Sie heuer?
Wir waren letztes Jahr bedeutend unwissender, was nach den Kreditmoratorien passiert. In vielen Ländern, in denen wir tätig sind, sind diese Moratorien schon ausgelaufen. Die Zahlungsmöglichkeit und Rückzahlungsbereitschaft von Privaten ist dort aber sehr stark. Wir sehen derzeit, dass nur ein Prozent derer, die aus den Moratorien herauskommen, Zahlungsschwierigkeiten haben. Wir werden heuer sicherlich mehr Insolvenzen sehen, weil sie 2020 ausgesetzt wurden. Das ist nichts, was im Kontext einer normalen konjunkturellen Entwicklung auffällig wäre. Österreich hat eine robuste Ökonomie und wird das gut überstehen. Andere Themen machen mir mehr Sorgen: die psychosozialen Folgen, Kollateralschäden an der Bildungsfront, und die Frage, wie sich das auf das Vertrauen in Demokratie und Politik auswirkt.
Trotzdem ist die Kapitaldecke von heimischen Betrieben sehr dünn. Sollte man in der Krise nicht über eine bessere Kapitalausstattung für Firmen sprechen?
Wenn eine Wirtschaft heruntergefahren wird, wird Eigenkapital ausradiert. Und österreichische kleine und mittlere Betriebe sind hier notorisch schwach ausgestattet. Auf der anderen Seite haben wir sehr viel Cash-Vermögen, das unverzinst auf Konten liegt. Wir sollten jetzt nicht beginnen, als Staat in Unternehmen einzusteigen, darin sind wir nicht gut. Wir brauchen einen starken heimischen Kapitalmarkt, damit Geld einfacher in Firmen veranlagt werden kann.
Welche Maßnahme würden Sie sofort umsetzen?
Wir brauchen ein Wagnisfondskapitalgesetz und eine steuerliche Gleichbehandlung von Eigen- und Fremdkapital. Derzeit können Sie Kreditrückzahlungen als Unternehmer steuerlich geltend machen, Eigenkapital aber nicht. Das kostet niemanden Geld, bewirkt aber viel.
Grüne und ethische Anlagen boomen. Wird Gewissen zur Rendite?
So wie jede Krise ist auch diese eine Chance, Dinge neu zu denken. Im Moment bietet sich Ökologie wirklich an. Dieses Thema wird nicht mehr weggehen. Wenn man ein sozial akzeptierter Spieler sein will, egal in welcher Branche, muss man für die nächste Generation eine klimafreundliche Umgebung schaffen. Ich glaube nicht, dass in Zukunft ökonomischer Erfolg möglich sein wird, ohne soziale und ökologische Verantwortung.
Sie wollen künftig keine Kohlekraft mehr finanzieren. Warum?
Unser Ziel ist, Kohlekraft bis 2030 in unserem Portfolio auf null zu reduzieren. Das ist aus unserer Sicht notwendig, um die Klimaziele von Paris zu erreichen. Jeder muss seine Rolle im Ökosystem erfüllen: Politik, Industrie und Finanzbranche.
Auch der globale Versicherer Munich Re will keine Kohlekraftwerke mehr versichern. Es gibt Diskussionen darüber, ob man Atomkraft versichern soll. Ist am Ende der Finanzmarkt bei der Klimarettung entscheidend?
Er wird eine Rolle spielen, aber wir sollten ihm keine falsche Bedeutung zuweisen.
Sie waren bei der Expansion der Erste Group in Osteuropa federführend und kennen die Region sehr gut. Seit einem Jahr warnen Ökonomen vor einem Crash dort. Der blieb aber aus, die BIP-Einbrüche sind zum Teil nur halb so stark wie in Österreich. Wie bewerten Sie die wirtschaftliche Situation dort?
Ich kann mich noch gut an die Finanzkrise 2008 erinnern, als renommierte US-Ökonomen ein "Argentininen an der Donau" gesehen und vor Staatspleiten in Osteuropa gewarnt haben, die nicht eingetreten sind. Tschechien, Ungarn, die Slowakei, Serbien und Rumänien sind viel robuster in diese Krise gegangen als in jede andere davor. Die Arbeitslosigkeit ist dort sehr gering, de facto haben die Länder Vollbeschäftigung. Ich glaube, dass diese Volkswirtschaften schneller und stärker aus dieser Krise herauskommen werden als der Westen Europas. Das Wachstumspotenzial und das Bedürfnis, aufzuholen, sind in der Region extrem groß. Diesbezüglich bin ich sehr froh, dass die Erste Group dort tätig ist.
Die geringen Einbrüche sind auch mancherorts auf eine gewisse "Rette sich, wer kann"-Strategie zurückzuführen - weniger harte Lockdowns, weil weniger Budget für Corona-Hilfen da war. Das hat zu einer höheren Corona-Sterblichkeit geführt . . .
Ich stimme Ihnen zu. Das hat nichts mit der Krise zu tun, aber in einigen Länder ist der Zustand der öffentlichen Gesundheitsversorgung besorgniserregend. Der berühmte Ökonom Joseph Stiglitz hat gesagt, wir haben drei existenzielle Krisen, die uns bedrohen: eine Krise der Demokratie, der Ungleichheit und eine Klimakrise. Und keines unserer konventionellen ökonomischen Messinstrumente gibt uns einen Hinweis darauf, dass wir ein Problem haben könnten. Wir messen möglicherweise die falschen Dinge. Wenn wir über Wege aus der Krise sprechen, dann müssen wir nicht nur über Klima, sondern beispielsweise auch über die öffentliche Gesundheitsversorgung sprechen.
Findet in der Finanzwelt ein Umdenken statt?
Die Diskussion geht weit über die Finanzwelt hinaus. In der Bankenwelt ist es ganz sicher so, dass man als großer Spieler nur akzeptiert wird, wenn man Gesellschaft, Demokratie, Ökologie und Europa mitdenkt und unterstützt. Nur dann hat man eine Daseinsberechtigung. Bei vielen ist erst jetzt der Groschen gefallen.
Ihr Vorgänger Andreas Treichl hat sich immer wieder auch kritisch über die Bundespolitik geäußert. Wie halten Sie es mit der Politik?
Man muss Respekt davor haben, wie schwierig die Aufgaben und wie unerwartet die auftretenden Probleme sind. Was ich mir aber wünschen würde: eine planerische Kompetenz über mehr als 14 Tage im Voraus. Mir gehen das Klein-Klein und das Hickhack massiv auf die Nerven. Wir müssen mehr über Wege aus der Krise reden. Es gibt den 750 Milliarden Euro schweren EU-Fonds, von dem ich mir viel erwarte. Österreich bekommt daraus 3,5 Milliarden für Klima- und digitale Projekte. In zwei Wochen kann die Republik den nationalen Recovery-Plan abgeben, und dieses Geld abholen. Ich bin schon sehr gespannt und hoffe, dass von dort Leuchtturmprojekte und Wachstumsschübe kommen. Damit wir sagen können: Aha, hier kann die Region attraktiver und besser werden. Darüber würde ich gern reden, so sehe ich Politik.
Zur Person~Bernd Spalt ist seit 2020 Vorstandsvorsitzender der Erste Group. Er ist seit 30 Jahren in der Bank tätig und hat die Expansion in CEE federführend mitgestaltet.