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Die geltende Strafprozessordnung (StPO) teilt die Verfahrensleitung: In den Vorerhebungen ist sie Sache des Staatsanwalts, in der Voruntersuchung Sache des Untersuchungsrichters. Die Regierungsvorlage schafft die Voruntersuchung ab und macht den Staatsanwalt zum alleinigen Leiter des Ermittlungsverfahrens (§ 101 RV). Aber sein Einfluss ist nur gering, er ist nur ein rechtsstaatliches Aushängeschild, die Regierungsvorlage bringt der Polizei einen erheblichen Machtzuwachs.
Kontrolle der Polizei?
Der Staatsanwalt kann der Polizei zwar weiter "Anordnungen" erteilen - aber auf kurzem Weg, etwa per Telefon nur, wenn diese Anordnungen der Polizei gefallen. Sind sie der Polizei nicht genehm, kann die Polizei verlangen, dass der Staatsanwalt die Anordnungen schriftlich formuliert und begründet (§ 102 Abs 1 RV) - eine sehr zeitaufwendige Angelegenheit. Zwar muss die Polizei dem Staatsanwalt in gewissen Abständen über ihre Ermittlungen berichten und der Staatsanwalt kann besondere Berichte verlangen (§ 100 Abs 2 RV), aber diese Berichte erfolgen schriftlich, ihre Abfassung erfordert Zeit.
Und eine Verpflichtung, telefonische Anfragen des Staatsanwalts zu beantworten oder ihn - z.B. in Haftsachen - über alle Fortschritte laufend telefonisch zu informieren, gibt es für die Polizei nicht. Auch müsste es viel mehr Staatsanwälte geben. So können Staatsanwälte Ermittlungsverfahren nicht leiten.
48 Stunden bei der Polizei, ohne Haftbefehl
Wenn der Beschuldigte mit oder ohne Haftbefehl festgenommen wird, kann er derzeit bis zu 48 Stunden im Polizeigewahrsam bleiben (§ 176 Abs 2, § 177 Abs 2 StPO). Bis er einen Richter zu sehen bekommt, der über die Enthaftung oder über die Verhängung der Untersuchungshaft entscheidet, dauert es in der Regel weitere 48 Stunden (§ 179 Abs 1 StPO). Das ist mit dem Gebot des Art 5 Abs 3 MRK, den Festgenommenen "unverzüglich" einem Richter vorzuführen, nicht vereinbar. Die Regierungsvorlage ändert an diesem Missstand nichts.
Kein Anruf beim Anwalt?
Noch ärgerlicher ist die Lage des Beschuldigten im Polizeigewahrsam. Während die Polizei ihm gegenwärtig jedes Gespräch mit einem Verteidiger verweigert, sind laut Regierungsvorlage nunmehr Verteidigergespräche auch während des Polizeigewahrsams (§ 59 Abs 1 RV) erlaubt.
Leider verbessert diese Änderung mehr die Optik als die Realität. Die Polizei kann die Gespräche mit dem Verteidiger überwachen, wenn sie an "Verdunkelungsgefahr" glaubt und eine "Beeinträchtigung von Beweismitteln" befürchtet (§ 59 Abs 2 RV). Ja, in "besonders begründeten Fällen" kann die Polizei den Beistand des Verteidigers auf einen allgemeinen Vortrag über Rechtsfragen beschränken (§ 59 Abs 1 RV).
Wenn der Beschuldigte über seine Sache reden will, kann die Polizei das Gespräch abbrechen. All das kann die Polizei von sich aus tun - den Staatsanwalt braucht sie dazu nicht einmal zu fragen (§ 59 Abs 2 RV). Der Verteidiger kann zwar Einspruch erheben, aber darüber entscheidet das Gericht erst Wochen später (§ 106 RV).
Wenn der Untersuchungsrichter Bedenken hat, dem Antrag des Staatsanwalts auf Verhängung der Untersuchungshaft stattzugeben, kann er derzeit von der Polizei ergänzende Auskünfte verlangen, ihr ergänzende Ermittlungen auftragen oder sie selbst vornehmen (§ 179 Abs 2 StPO).
Das ist auch gut so, denn die Berichte, welche die Polizei erstattet, wenn sie die Verhängung der Untersuchungshaft anregt, sind mitunter nicht sehr ergiebig. Nach der Regierungsvorlage muss der Richter über die Verhängung der U-Haft auf Grund des Materials entscheiden, das ihm der Staatsanwalt mit dem Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft vorlegt: Lediglich den Beschuldigten darf er vernehmen (§ 174 Abs 1 RV). Der Richter soll bei der Entscheidung über die Verhängung der Untersuchungshaft nicht besser informiert sein, als der Staatsanwalt für gut findet. Entmachtung des Richters
Erst nach 14 Tagen Untersuchungshaft (!) darf der Richter in einer Haftverhandlung Zeugen, die ihm wichtig scheinen, befragen; Auskünfte von der Polizei kann er nicht mehr verlangen. So müsste der Richter, der sich erfrecht, dem Verlangen von Polizei und Staatsanwalt auf Verhängung der Untersuchungshaft nicht nachzukommen, in einer Verhandlung selbst ermitteln, was die Polizei zu ermitteln nicht für nötig hält. Das ist schlechterdings unmöglich. Die Entmachtung des Richters und geringes Interesse, die Zahl der Haftfälle in Grenzen zu halten, sind wesentliche Mängel der Regierungsvorlage.
Reformwille fehlt
Der Regierungsvorlage fehlt der Reformwille, sie hält z. B. an dem bisherigen Zwei-Klassen-Strafverfahren fest. Rechtsanwälte erhalten als Verfahrenshelfer keine individuelle Entlohnung, es ist Idealismus, wenn sie sich für einen mittellosen Beschuldigten einsetzen. Und nur wenige Rechtsanwälte können sich auf Strafsachen spezialisieren. Beschuldigte, die es sich leisten können, können sich einen dieser Anwälte zum Verteidiger wählen, Beschuldigte mit Verfahrenshilfe bekommen irgendeinen Rechtsanwalt, der mit Strafsachen vielleicht wenig Erfahrung hat. In anderen Ländern kann sich auch der mittellose Beschuldigte einen Verteidiger wählen, und der Verteidiger wird vom Staat entlohnt.
Es ist schade, dass die öffentliche Diskussion sich durchwegs mit minder Wichtigem befasst. Dazu gehört auch die Frage, ob Staatsanwälte an Weisungen des Justizministers gebunden sein sollen. Dass Verdächtige mit Einfluss mitunter besser wegkommen, als sie verdienen, ist bedauerlich. Aber das ist überall so, und nicht nur in Strafsachen.
Gegen Beamtenherrschaft
So unerfreulich die Kontrolle durch gewählte Politiker mitunter ist, einer Beamtenherrschaft ohne diese Kontrolle ist sie noch immer vorzuziehen. Im Übrigen darf man nicht vergessen, dass nicht nur die unberechtigte Einstellung des Verfahrens Unrecht ist, Unrecht ist auch die leichtfertig erhobene Anklage. Das gilt ganz besonders in Österreich: Denn hier muss der Beschuldigte den gewählten Verteidiger auch dann bezahlen, wenn er freigesprochen wird.
Regierungsvorlage zur StPO-Vorverfahrens-Reform als pdf.file im Internet unter:
http://www.justiz.gv.at/aktuelles/download/stporeform_regvorlage.pdf