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Beruf: Fotojournalistin

Von Anton Holzer

Reflexionen

In den 1920er Jahren begannen Frauen für Zeitungen und Magazine zu fotografieren.


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Anni Schulz: Juroren im Wiener Künstlerhaus, 1930.
© Archiv Anton Holzer

Gestikulierend blicken die Männer in eine Richtung. Die Herren, so erfahren wir aus der Bildbeschriftung, sind Juroren, die sich im Wiener Künstlerhaus zu einer Arbeitssitzung eingefunden haben. Als die Wiener Fotojournalistin Anni Schulz 1930 diese Szene ablichtete, stellte sie dieser Männerriege ein zweites Foto gegenüber, bestehend aus lauter Frauen. Es sind Putzfrauen, die im selben Künstlerhaus nach dem Abbau einer Schau den Boden reinigen. Hier die Männer, sitzend, geschäftlich gekleidet, in ein angeregtes Gespräch vertieft. Dort die Frauen, kniend, schweigsam, den Kopf zum Boden gerichtet.<p>Dieses Doppelbild erschien in der Zeitschrift "Die Bühne". Zwischen beiden Fotos war der nüchterne Titel platziert: "Die Künstlerhaus-Ausstellung wird vorbereitet". Mit visuellen Mitteln erzeugte die Fotografin ein spannungsreiches Verhältnis zwischen Oben und Unten, Männern und Frauen, Sitzen und Knien, Entscheiden und Dienen.

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Neues Berufsfeld

<p>Bildgeschichten wie diese waren in der Zeitungslandschaft um 1930 neu und ungewohnt. Sie zeigen, dass Frauen nun nicht nur selbst zur Pressekamera griffen, sondern dass sie mit ihren Bildern und Bildserien auch begannen, ihre Meinung zu gesellschaftlichen Themen kundzutun.<p>Noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war die Fotografie ein männlich dominiertes Metier gewesen. Aber in den 1920er Jahren entdeckten zahlreiche junge, selbstbewusste Frauen - viele von ihnen waren gutbürgerlicher Herkunft - die Fotografie nicht nur als Zeitvertreib, sondern als Beruf.<p>In Österreich hatte die Mehrzahl dieser neuen Fotografinnen ihre Fotoausbildung während des Ersten Weltkriegs an der Wiener Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt absolviert. Zwischen 1914 und 1918 waren an der "Graphischen" im Schnitt 75 Prozent der Schüler Frauen, weit mehr als in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg oder in der Zwischenkriegszeit, als sich der Frauenanteil zwischen 35 und 45 Prozent einpendelte.<p>Nach dem Krieg eröffneten viele dieser Frauen eigene Ateliers, vor allem in Wien. Zu den bekanntesten von ihnen zählen Trude Fleischmann, Edith Barakovich, Trude Geiringer, Dora Horovitz, Edith Glogau, Grete Kolliner, Pepa Feldscharek und Hella Katz.<p>Häufig wandten sich diese Ateliers an ein gutbürgerliches Publikum. Aber auch Künstler, Schauspieler und Intellektuelle fanden den Weg in die Ateliers. Außer Porträts entstanden dort auch auch Mode-, Tanz-, Akt-, Werbe- und Theaterfotos.<p>Die rasche Zunahme fotografierender Frauen stieß bei vielen Männern auf Argwohn. Manche von ihnen sahen durch die Berufstätigkeit der Frauen die gesamte Fotografie bedroht. 1921 unterstellte etwa der einflussreiche Wiener Fotograf und Fotopu-blizist Hermann Clemens Kosel den jungen Fotografinnen, dass sie "mit oberflächlichen, sinnlichen und posierten modelüsternen Auffassungen das Dirnentum ins Lichtbild" gebracht hätten und "den sittlichen Ernst der Kunst ins Abgeschmackte" herabgezogen hätten. Sein Fazit: "Nur wenige Frauen haben den Ernst zu ihrem Berufe behalten."<p>Neben diesen Atelierfotografinnen gab es, das ist bisher viel zu wenig beachtet worden, auch einige hausragende österreichische Fotojournalistinnen, die ebenfalls in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg zu fotografieren begannen. Über sie ist weit weniger bekannt als über ihre Kolleginnen, die im Atelier tätig waren.<p>

Nischensuche

<p>Neben Anni Schulz sind etwa Lena Schur, Edith Suschitzky, Anita Dorfner, Ilsa Stern (sie stammte aus Böhmen und lebte Mitte der 1930er Jahre in Wien), Lucca Chmel oder Steffi Schaffelhofer zu nennen. Auch Amateurfotografinnen publizierten nun gelegentlich ihre Bilder in Zeitungen, etwa die Ärztin, Architektin und Fotografin Edith Wellspacher, die in den 1930er Jahren aus dem Spanischen Bürgerkrieg berichtete.<p>Stärker noch als die Atelierfotografie war die Pressefotografie in der Zwischenkriegszeit fest in männlicher Hand. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es in Österreich nur eine einzige namentlich bekannte Fotografin, die regelmäßig für illustrierte Zeitungen gearbeitet hatte, nämlich Marie Mertens (Matisz), die aus Kaschau (dem heutigen ostslowakischen Koice) stammte und seit 1903 als Fotografin in Wien tätig war.<p>Bildberichte über Politik und Tagesaktualitäten wurden durchwegs von Männern beigesteuert. Die ersten Fotojournalistinnen suchten sich daher thematische Nischen. Häufig spezialisierten sie sich auf Mode- und Gesellschaftsfotografie oder lieferten Alltags-, Sozial- und Reisereportagen an die Redaktionen. Zu den herausragenden Fotojournalistinnen der österreichischen Zwischenkriegszeit zählt die bereits erwähnte Wiener Fotografin Anni Schulz, die 1897 als Anna Weishut geboren wurde. Sie dokumentierte mit ihrer Kamera feinfühlig Szenen des Alltags. Seit Ende 1925 arbeitete sie als "Illustrationsphotographin", wie die Pressefotografen genannt wurden.

Alltag in einem Wiener Kinderheim, 1929. Teil einer Reportage von Anni Schulz und Marianne Blumberger.
© Archiv Anton Holzer

<p>Schulz gestaltete eindrucksvolle Fotoreportagen, etwa über das Wiener Fundamt, über den Naschmarkt oder über die Kärntnerstraße bei Nacht. Sie arbeitete regelmäßig mit Marianne Bergler zusammen, einer weiteren wichtigen Wiener Fotojournalistin der Zwischenkriegszeit. Bergler, geborene Blumberger, war gleich alt wie Schulz und begann 1927 mit der kommerziellen Foto-
grafie.<p>Etliche Jahre lang vermarkteten Schulz und Blumberger ihre Bilder - vor allem Mode- und Theateraufnahmen, aber auch Alltagsbilder und Sozialstudien - unter dem Namen Blumberger-Schulz. Seit 1929 publizierten die beiden auch beeindruckende Fotoreportagen. Unter anderem fotografierten sie Bildgeschichten über den Aberglauben, Frauenhände, Puppen und Marionetten oder sie fingen den Alltag in einem Wiener Kinderheim ein.<p>Nicht nur als Fotojournalistinnen, sondern auch in anderen Bereichen des Medienbetriebs setzten sich Frauen mehr und mehr durch. Sie arbeiteten ab den späten 1920er Jahren auch vermehrt als Redakteurinnen und Textautorinnen von Fotoreportagen. In den "Wiener Bildern" schrieben unter anderen Etta Donner, Marianne Feigl, Marianne Heimler und Hilde Leitner Texte zu Fotoreportagen, im "Wiener Magazin" Rosa Wachtel und im "Sonntag" Gusti Skall, die Ehefrau des Fotojournalisten Otto Skall.<p>Skall verfasste ihre Beiträge unter den Pseudonymen Gustav Wiesinger oder Gina Campitelli. Auch als Grafikerinnen und Zeichnerinnen hatten Frauen nun zunehmend Erfolg. Lisl Weil etwa, die 1910 geboren wurde, zeichnete nach dem Abschluss der Wiener Kunstgewerbeschule seit Ende der 1920er Jahre für mehrere österreichische Tageszeitungen und Magazine Illustrationen und Vignetten. Besonders häufig war sie - neben Friedl Biegler und Emmi Sagai - ab Anfang der 1930er Jahre im Auftrag der Zeitschrift "Die Bühne" tätig, für die sie auch Titelblätter grafisch gestaltete.<p>Schließlich etablierten sich Frauen nun erstmals auch im Fotovertrieb. Mitte der 1930er Jahre gründete beispielsweise die Wiener Pressefotografin Lena Schur ihre eigene Fotoagentur namens "Kondor". Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten endeten 1938 fast alle diese beruflichen Karrieren in Österreich schlagartig. Die jüdischen Fotografinnen, Journalistinnen und Zeichnerinnen wurden ins Exil getrieben, einige kamen in der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie um. Anni Schulz war eine der wenigen jüdischen Fotografinnen, die sich entschloss, in Wien zu bleiben. Sie war mit einem nichtjüdischen Mann verheiratet und hoffte, die Verfolgung so überleben zu können. Sie starb Ende November 1943 in Wien im Alter von nur 46 Jahren.<p>

Das Zeitungssterben

<p>Nach 1945 fand der Aufbruch der österreichischen Fotojournalistinnen keine direkte Fortsetzung. Dies nicht nur, weil die Fotografinnen jüdischer Herkunft vertrieben worden waren, sondern auch, weil sich die österreichische Zeitungslandschaft nach dem Zweiten Weltkrieg radikal veränderte.<p>Besonders anschaulich lässt sich dies an der beruflichen Karriere von Barbara Pflaum, einer der wichtigsten österreichischen Fotojournalistinnen der Nachkriegszeit, illustrieren. Als sie Mitte der 1950er Jahre als Pressefotografin begann, gab es noch ein breites Spektrum an Illus-trierten. Zehn Jahre später erschien in Österreich keine einzige klassische Wochenillustrierte mehr. Unter dem Druck der bundesdeutschen Konkurrenz hatte ein Blatt nach dem anderen schließen müssen.<p>Pflaum arbeitete fortan als Pressefotografin für die 1955 gegründete "Wochenpresse". Diese prunkte zwar mit einem ausdrucksstarken Aufmacherfoto auf der Titelseite, aber im Innenteil war kein Platz für längere Bildreportagen.

Anton Holzer, geboren 1964 in Südtirol, Fotohistoriker, Publizist und Herausgeber der Zeitschrift "Fotogeschichte", lebt in Wien.www.anton-holzer.at