Zum Hauptinhalt springen

"Berufung zum Reisen"

Von Bernhard Widder

Wissen

Eine Annäherung an den österreichischen Forschungsreisenden Alfons Gabriel und seine Frau Agnes, die insbesondere den Iran erschlossen haben.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Wir sahen wieder viel hinaus in das zernarbte Gesicht der Wüste, in das unbekannte Land vor uns. Durch sie mussten wir einen Weg finden oder bahnen! Ich hielt mir einen Gruß von O. Lenz aus meiner Kindheit vor. "Viam aut inveniam aut faciam", hatte damals der große Forschungsreisende dem begeisterten Gymnasiasten geschrieben." ("Man erfindet den Weg oder macht ihn.") (Zitat aus Alfons Gabriel: Wildes weites Iran, 1940).

Auf Spurensuche

Vor einem Monat, als die Augusthitze wieder sehr intensiv geworden war, suchte ich zwei niederösterreichische Orte auf, einen im tiefen Waldviertel, den anderen in der Nähe von Korneuburg, nördlich der Donau. Ich wollte herausfinden, ob es dort noch Spuren des österreichischen Forscherpaars Alfons und Agnes Gabriel geben würde. Von 1934 bis 1937 hatten die beiden im Waldviertel gelebt, wo Dr. Alfons Gabriel als Landarzt wirkte. Von 1938 bis 1958 lebte das Paar in der Gemeinde Leobendorf, Gabriel arbeitete auch dort als Arzt. Daneben entstanden in diesen Jahren die wissenschaftlichen Bücher Alfons Gabriels (der bis 1974 publizierte), die zum Umfangreichsten und Besten zählen, was von europäischen Forschern über den Iran und den Mittleren Osten im 20. Jahrhundert verfasst wurde.

In Leobendorf fragte ich einige Bewohner nach dem Namen Gabriel, der dort weiterhin in Erinnerung ist. Man riet mir, den Friedhof aufzusuchen, denn dort wäre das Grab des Paares. In der Nachbarschaft der alten Kirche fand ich das Grab, eine schlichte, klassizistische Gestaltung, auf der die Lebensdaten von Alfons Gabriel (1894-1976) und Agnes Gabriel, geb. Kummer (1888-1978) neben dem Titel "Ehrenbürger von Leobendorf" vermerkt sind.

Während die österreichischen Weltreisenden und Forscher Heinrich Harrer und Herbert Tichy manchen (eher älteren) Lesern noch geläufig sind, ist der Name des Forscherpaars Gabriel seit langer Zeit in Vergessenheit geraten. Dabei wurden Alfons Gabriels wissenschaftliche Aufsätzen über Jahrzehnte gewürdigt und beachtet.

Alfons Gabriel hat zwischen 1929 und 1969 elf Bücher veröffentlicht, davon zwei Titel gemeinsam mit seiner Frau Agnes. Auch wird er als "Bearbeiter" dreier weiterer Titel genannt (1969, 1971, 1974). Einige seiner Bücher, die man als "belletristisch" bezeichnen kann, haben mehrere Auflagen erlebt (ähnlich wie die vormals erfolgreichen Bücher von Harrer und Tichy). Aber der größere Teil seiner Arbeiten widmete sich einer strengeren Wissenschaft.

Die bisher beste neuere Studie über Gabriel, die ich finden konnte, stammt von dem deutschen Religionswissenschaftler Roland Pietsch: "In den Einsamkeiten Irans - Alfons Gabriels Reisen durch persische Wüsten". Der Autor war Professor an der Universität München, aber auch Gastprofessor an der Universität Baqir-al-Olum in der iranischen Stadt Qom. Pietsch erwähnt Alfons Gabriels Werk "Die Erforschung Persiens" (Wien 1952) als eine besondere Leistung, die bis heute nicht übertroffen worden ist.

Im Iran, dessen Erforschung zwischen von 1927 und 1937 das eigentliche Hauptthema für Alfons und Agnes Gabriel war, genießt der Name Gabriel eine höhere Wertschätzung: Im Dezember 2014 sah ich in Teheran bei mehreren Veranstaltungen, die Alfons Gabriel gewidmet waren, insgesamt fünf iranische Buchausgaben (in Farsi), darunter auch die Monografie über "Marco Polo in Persien" (1963).

In iranischen Zeitschriften wurden fast sechzig Aufsätze und Artikel über die iranischen Reisen der Gabriels veröffentlicht. Wüstenforscher, Archäologen und kleinere Reisegruppen, die sich in entlegene Gebiete vorwagen, beziehen sich bis heute auf seine genauen Landkarten und präzisen Schilderungen von klimatischen Verhältnissen in den gewaltigen Wüsten des östlichen Iran, deren extreme Verhältnisse den Aufenthalt nur in wenigen Monaten im Frühling und Herbst ermöglichen.

Ein Wanderleben

Alfons Gabriel wurde am 4. Februar 1894 in Beraun / Beroun (Sudetenland, Nordböhmen) geboren. 1903 übersiedelte die Familie nach Wien, Alfons besuchte dort das Gymnasium. 1912 unternahm er eine erste Reise nach Tunesien, zum Schott-el-Djerid, dem Beginn der Sahara. Das geschah ohne Wissen seiner Eltern, da der Siebzehnjährige sich diese Reise nicht verbieten lassen wollte. Die Wüste blieb ein entscheidender Eindruck für sein weiteres Leben.

Nach dem Militärdienst im Ersten Weltkrieg erfolgte 1920 der Abschluss seines Medizin-Studiums, dann schloss sich eine zweijährige Ausbildung am Wilhelminenspital in Wien an, wo er seine spätere Frau, Agnes Kummer, kennenlernte.

Von 1922 bis 1925 lebte Gabriel gemeinsam mit seiner Frau als Tropen-Arzt im holländischen Regierungsdienst auf der westindischen Insel Bonaire. Aus seinem Studium der dort lebenden Flamingos wurde später das Buch "Tschogogo. Aus dem Leben der Flamingos". 1926 folgte die erste Reise nach Südostasien: Gabriel arbeitete als Schiffsarzt, begleitete indonesische Mekka-Pilger von "Niederländisch-Indien" aus nach Jeddah, Arabien.

1927 unternahmen die Gabriels ihre erste große Reise in den Mittleren Osten und den Iran. Die Route verlief über Damaskus, Bagdad, den Persischen Golf nach Maskat, Oman. Die Engländer verweigerten die Weiterreise durch Arabien. Alfons und Agnes Gabriel reisten nach Bandar Abbas am Persischen Golf, von dort östlich in das Bergland von Baschakird. Sie durchquerten das Becken von Djaz-Morian nach Kerman, erkundeten den Westrand der Wüste Dasht-e-Lut. Danach folgte nordwärts die Durchquerung der Dasht-e-Kavir auf den Spuren Marco Polos. Von Mashhad aus gelangten sie nach Teheran, und kehrten dann über Bagdad und Aleppo zurück nach Wien.

Danach arbeitete Gabriel bis 1932 als Schiffsarzt der Java-China-Japan-Linie, sowie als Tropenarzt im niederländischen Auftrag in Sumatra und bei Singapur.

Anfang 1933 begann die zweite Reise im Iran, die dieses Mal von Teheran ausging. Die Durchquerung der Wüste Dasht-e-Kavir führte zum persisch-afghanischen Grenzland. Die Erschließung der südlichen Wüste Dasht-e-Lut scheiterte, weil sie in der falschen Jahreszeit unternommen wurde.

1935 veröffentlichte Gabriel "Durch Persiens Wüsten. Neue Wanderungen in den Trockenräumen Innerirans". Das Buch erhielt eine sehr positive Rezension vom berühmten Forschungsreisenden n Sven Hedin, mit dem Gabriel in Kontakt war.

1937 wurde eine dritte Reise im Iran unternommen, bei der endlich die Durchquerung der südlichen Dasht-e-Lut mit fünf Begleitern und acht Kamelen gelang. Gabriel entdeckte eine versunkene Kultur im Hochland von Sarhadd an der Grenze zu Pakistan und durchquerte die Wüste Khwash in Süd-Afghanistan.

1938, Gabriel war schon als Landarzt in Leobendorf tätig, hielt er einen viel beachteten Vortrag in London bei der "Royal Geographical Society": "The Southern Lut and Iranian Baluchistan".

Nach 1958 lebten die Gabriels in Wien. Alfons Gabriel hielt als Dozent Vorlesungen an der damaligen "Hochschule für Welthandel" (heute Wirtschaftsuniversität) in Wien. Er starb 1976 in Wien, seine Frau Agnes im Jahr 1978.

Marco Polos Nachfahre

Alfons Gabriels 1940 erschienenes Buch "Wildes weites Iran", das in Deutschland mehrere Auflagen erlebt hatte, ist eine besondere Einführung in das jahrelange Reiseleben, da es die Erfahrungen der drei großen Iran-Reisen in übersichtlichen Kapiteln ausbreitet.

In diesem Buch untersucht Gabriel auch die Berichte von Marco Polo, der im späten 13. Jahrhundert die nördliche Wüste Dasht-e-Kavir durchquert hatte. Polo folgte damals, zusammen mit seinem Vater und seinem Onkel, einem Karawanenpfad von Kerman bis nach Mashhad.

Gabriel versuchte, all jene Autoren, die bis ins 20. Jahrhundert hinein die Authentizität der Berichte Marco Polos bezweifelt haben zu widerlegen, und kommt zu einfachen und logischen Schlüssen, da er der Route von Marco Polo einfach folgte. Er erklärte, dass sich die klimatischen Verhältnisse in "660 Jahren" seit Marco Polos Durchquerung bis ins Jahr 1930 nicht verändert hätten. Er verglich die Ortsnamen, die Marco Polo verwendete, mit den heutigen, die er genau identifizierte. Gabriel beschrieb also mit bescheidener Sicherheit, dass es ihm zwischen 1930 und 1933 gelungen war, die genaue Route Marco Polos zu rekonstruieren.

Über diese Route wurde von mehreren guten Forschern seit dem 19. Jahrhundert endlos diskutiert, vor allem von britischen Reisenden. Gabriel bewertete deren Leistungen recht souverän auf zwei Seiten. Der schwedische Forscher Sven Hedin, der für Gabriel ein Vorbild war, beschrieb 1895 einen Ausblick in die Dasht-e-Kavir, mit Beziehung zu Marco Polo, durchquerte diese Wüste aber nicht. Gabriel scheint also tatsächlich derjenige Forscher gewesen zu sein, der die Route von Marco Polo definitiv festlegen konnte.

Gabriel beschrieb seine Reisen in kürzeren Kapiteln recht genau, wechselte zwischen wissenschaftlicher Präzision (der Beschreibung von Geografie in allen Formen) und poetischer Wahrnehmung. Sein erzählender Stil ist also wissenschaftlich und literarisch zugleich.

Über die Kulturen der dortigen Menschen schrieb er mit Respekt, benannte aber als Arzt auch die Mängel, insbesondere die vielen Kranken in mehreren Oasen, die er manchmal behandeln konnte. Die Leute dort hatten damals keine modernen Ärzte, und Gabriel hatte sicher einige Medikamente bei sich.

Auffallend ist seine Wahrnehmung der religiösen Riten, der Gebete des Islam, die er erlebte. Er beschrieb nüchtern, wie sich seine Reiseführer während der Sandstürme, der kalten Nächte verhielten. Er berichtete, dass seine verlässlichen Freunde immer wieder sagen: "Gott war gnädig, dass er uns zu dem bestimmten Lager geführt hat".

Die abstrakte Instanz

Dieser Gott, Allah, den sie anriefen, ist eine abstrakte, kosmische Realität. Vor dem Hintergrund der extremen Wüsten: in dieser Leere aus Hitze und Endlosigkeit des Raums, auch der Zeit dieser Menschen, muss es einen Sinn geben, eine abstrakte Instanz, die alles ist. Gabriel beschrieb diese Ansichten seiner Gefährten mit Respekt, kommentierte sie nicht. Er fragte sich selbst immer wieder, warum er in diese extremen Einöden des Iran reiste, wo es nur ums Durchkommen, ums Überleben ging.

Das Buch enthält eine Widmung, die Alfons und Agnes Gabriels "Berufung zum Reisen" mit den kennzeichnenden Worten ausdrückt: "Gewidmet allen denen, die das Verlangen nach freier Forschertätigkeit in unberührten Fernen in sich tragen".

Bernhard Widder, geboren 1955 in Linz, lebt in Wien und arbeitet als Schriftsteller, Lyriker, Essayist, Übersetzer und Architekt.