Estland, Lettland und Litauen trotz Nato-Beistandspflicht verunsichert.
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Tallinn/Riga/Vilnius. "Putins Russland wird zu einem Beispiel für Aggression und demonstriert praktisch gegenüber jedem Stärke - allein gegen alle." Oder: "Die Aggression Russlands in der Ukraine hat die Sicherheitslage in ganz Europa verändert." Sätze wie diese stammen nicht von der ukrainischen Übergangsregierung, sondern von Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite und dem estnischen Außenminister Urmas Paet. Die drei baltischen Länder sind zwar Mitglieder in der EU und dem Verteidigungsbündnis Nato. Nichtsdestotrotz verfolgen Estland, Lettland und Litauen die Lage in der Ukraine mit großer Sorge. Denn die Besetzung der Halbinsel Krim und deren mögliche Ausweitung auf den Osten und Süden der Ukraine ruft bei den drei nordosteuropäischen Staaten historische Ängste vor Russland wieder wach. "Wir lassen die baltischen Staaten nicht allein", ist daher die Botschaft, die Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei seinen Besuchen in Tallinn, Riga und Vilnius am Dienstag stets wiedergab. "Das ist kein Problem von Estland oder den baltischen Staaten. Das ist ein gemeinsames Problem der EU und der Nato", betont der SPD-Politiker.
Hacker statt Panzer
Die Nato nimmt für die Ex-Sowjetrepubliken eine zentrale Rolle ein. Denn werde ein Mitgliedsstaat angegriffen, sei dies auch ein Angriff auf alle Mitglieder, regelt Artikel V der Nato-Charta den sogenannten "Bündnisfall". Da in Estland, Lettland und Litauen jeweils mehr als 20 Prozent der Bevölkerung ethnische Russen sind, fürchten die Länder eine ähnliche Vorgangsweise von Wladimir Putin auf der Krim - obwohl sie der "Bündnisfall" in der Praxis wohl davor schützt. Russland könnte aber auf andere Formen der Kriegsführung zurückgreifen: Als im Jahr 2007 eine Statue für die Rote Armee aus Tallinns Zentrum verbannt wurde, legten mutmaßlich russische Hacker Webseiten der estnischen Regierung und von Banken lahm. Estland - ein Hotspot der IT-Industrie - entsandte im russisch-georgischen Krieg 2008 Experten, die Georgien bei Online-Angriffen aus Russland unterstützen sollen.
Die baltischen Länder sind die einzigen Ex-Sowjetrepubliken, die der EU beigetreten sind - gemeinsam mit Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei am 1. Mai 2004. Mit ihrem Westkurs seit der Unabhängigkeit entzogen sich Riga, Vilnius und Tallinn der Doktrin von Russlands damaligem Präsidenten Boris Jelzin. Dieser sah sie als Teil des "Nahen Auslands" der früheren Sowjetrepubliken, die weiter im russischen Einflussbereich stehen sollten.