Bis Ende August 2011 müssen die neuen Regeln für die Beschaffung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial, aber auch für die Terrorismusabwehr umgesetzt werden.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Auf Rüstungsgüter entfällt ein großer Teil der öffentlichen Beschaffungsausgaben in der EU. Die Verteidigungshaushalte aller Mitgliedstaaten belaufen sich zusammen auf etwa 170 Milliarden Euro, wovon mehr als 80 Milliarden für Beschaffung allgemein und 90 Milliarden speziell für den Kauf neuer Militärausrüstung aufgewendet werden. Dazu kommen noch sensible nichtmilitärische Beschaffungsvorgänge, etwa für die Terrorismusabwehr.
Obwohl nach geltendem Gemeinschaftsrecht auch die Beschaffung von Verteidigungsgütern den Regeln des Binnenmarktes gemäß der Richtlinie 2004/18/EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge unterliegt, gilt dies nur vorbehaltlich des Artikels 296 EG-Vertrag. Gemäß dieser Bestimmung können die Mitgliedstaaten unter Berufung auf ihre "wesentlichen Sicherheitsinteressen" von dieser Richtlinie abweichen und Rüstungsaufträge auf der Grundlage eigener, einzelstaatlicher Vergabevorschriften erteilen. Diese Vergabepraxis darf aber die Wettbewerbsbedingungen auf dem Gemeinsamen Markt hinsichtlich der zivilen Güter nicht beeinträchtigen. Dies kann aber bei Kompensationsgeschäften (offsets) und insbesondere bei indirekten, nichtmilitärischen Kompensationsgeschäften sehr wohl der Fall sein.
Missbrauch
In der Praxis kam es immer wieder zu missbräuchlichen Anwendungen von Artikel 296 EG-Vertrag. Obwohl die Anwendung dieses Artikels auf klar definierte Ausnahmefälle begrenzt sein sollte, haben ihn viele Mitgliedstaaten systematisch dazu genützt, um fast alle Rüstungsbeschaffungen von den EU-Vergaberegelungen auszunehmen. Sie gaben dafür im Wesentlichen zwei Gründe an: Zum einen seien die Bedingungen für die Anwendung des Artikels 296 EG-Vertrag nicht klar genug, zum anderen seien auch die Bestimmungen der vorerwähnten Beschaffungs-Richtlinie 2004/18/EG angesichts der Komplexität und Sensibilität der meisten Beschaffungsvorgänge im Verteidigungssektor völlig ungeeignet.
Im Gegensatz dazu hat der EuGH mehrfach festgestellt, dass Ausnahmebestimmungen, wie der Artikel 296 EG-Vertrag, stets restriktiv ausgelegt werden müssen. Der Rat wiederum hatte bereits im April 1958 die Entscheidung 255/58 angenommen, in der eine (geheime) Liste von Rüstungsmaterialien enthalten ist, deren Beschaffung zweifellos ein wesentliches Sicherheitsinteresse eines jeden Mitgliedstaates darstellt.
Am 21. August 2009 trat die neue Richtlinie 2009/81/EG über die Beschaffung von Verteidigungs- und Sicherheitsgütern (EU-Amtsblatt 2009, L 216/1) in Kraft. Sie soll die Grundlage für einen wirklich europäischen Verteidigungsgütermarkt bilden, der die Entwicklung einer europäischen Zulieferbasis im Verteidigungssektor fördern soll. Mit dieser neuen Richtlinie über die Beschaffung von Verteidigungs- und Sicherheitsgütern verfügen die Mitgliedstaaten nunmehr über eine maßgeschneiderte Regelung für diese komplexen und sensiblen Transaktionen, die es ihnen ermöglicht, koordiniert zu beschaffen, zugleich aber auch ihre legitimen Sicherheitsinteressen zu wahren.
Die Mitgliedstaaten können aber nach wie vor auf Artikel 296 EG-Vertrag zurückgreifen und Ausnahmen für Beschaffungsvorgänge geltend machen, sofern diese so sensibel sind, dass selbst die neuen Vorschriften ihren Sicherheitsanforderungen nicht gerecht werden.