Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 25 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Zwei Themen dominierten die Debatten des Bundesrates bei seiner jüngsten Sitzung am 2. Juni. Zum einen stand die europäische Beschäftigungspolitik im Zusammenhang mit dem Nationalen
Aktionsplan für Beschäftigung im Vordergrund, zum anderen war es den Bundesräten um eine adäquate Grenzlandförderung zu tun.
Europäisches Sozialmodell
Zum ersten Thema meldete sich Sozialministerin Hostasch zu Wort. Sie bekannte sich zum Grundsatz der Erwerbsorientierung und sprach sich für ein "europäisches Sozialmodell" aus, welches den
Menschen ins Zentrum der Überlegungen rücke. Quantitatives Ziel des NAP sei es, bis 2002 insgesamt 100.000 Menschen zusätzlich Arbeit zu verschaffen sowie Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit zu
halbieren.
Den Arbeitslosen sollen dabei Qualifizierungs-, Orientierungs- und Ausbildungsmaßnahmen zur Verfügung stehen, um ihnen so den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu erleichtern. Durch derlei Schritte
solle die Arbeitslosenrate a la longue auf 3,5 Prozent gesenkt werden.
Dazu seien auch die Mittel der aktiven und aktivierenden Arbeitsmarktpolitik auf 11,1 Mrd. Schilling erhöht wurden, bemerkte Hostasch, wodurch Österreich der Anschluß an andere europäische Staaten
gelungen sei.
Europa, fuhr die Ministerin fort, messe der Beschäftigungsfrage großes Augenmerk bei, wozu die österreichische Präsidentschaft nicht wenig beigetragen habe. Die sogenannte "Wiener Strategie" habe in
Europa zu einem Paradigmenwechsel geführt. Beschäftigung werde nicht länger auf nationale Politik reduziert, sondern stelle eine verpflichtende Zielsetzung für alle Akteure · Europäische
Kommission, Europäischer Rat, EZB, Sozialpartner etc. · dar.
Trendwende geschafft?
In Österreich sei die Trendwende geschafft, verwies Hostasch resümierend auf die neuen Arbeitslosenstatistiken des Monats Mai.
Diese Euphorie konnten die F-Bundesräte nicht teilen. Unter Berufung auf 16 Millionen Arbeitslose in Europa hielt R. Eugen Bösch fest, daß in Österreich etwa 38.500 Arbeitslose von der Statistik
nicht erfaßt würden, da sie sich in Umschulungen befänden: "Und eine Umschulung ist kein Arbeitsplatz." Nur eine flexible Arbeitsorganisation, eine Rücknahme des Staates und eine wirkliche
Steuerreform wären Garanten für die von der Ministerin avisierte Trendwende.
Sein Fraktionskollege André d'Aron meinte, die im NAP aufgelisteten Forderungen seien zwar im Prinzip richtig, derzeit beschränke man sich aber auf "Lippenbekenntnisse". So sei der NAP nichts anderes
als ein "Nichtangriffspakt der Sozialpartner". Lediglich konkrete Aktivitäten aber schafften Arbeitsplätze.
Optimistischer sahen die Sozialdemokraten die Lage. Hedda Kainz begrüßte es, daß die EU der Beschäftigungspolitik so hohe Priorität einräume, wobei Österreich zu dieser Entwicklung maßgeblich
beigetragen habe. Ihr Fraktionskollege Karl Drochter führte die bisherigen Erfolge auf die hartnäckige und konsequente Gewerkschaftspolitik zurück. Weitere Bemühungen seien jedoch in den Bereichen
Vermittelbarkeit und Qualifikationsverbesserung sowie für ältere Arbeitnehmer vonnöten.
Die ÖVP-Vertreter wiederum verwiesen auf die besondere Rolle, die der Wirtschaft bei der Schaffung von Arbeitsplätzen zukomme. Johann Ledolter forderte daher verstärkte Anreize für den
Dienstleistungssektor und warnte vor der Gefahr einer Überbürokratisierung. Engelbert Schaufler wiederum regte an, das Anfallsalter für die Pension bei geminderter Erwerbsfähigkeit zu senken, wodurch
neue Arbeitsplätze für jüngere Arbeitnehmer geschaffen werden könnten.
Klasnic-Erklärung
Zweiter Schwerpunkt der Sitzung war die Erklärung von Steiermarks Landeshauptfrau Waltraud Klasnic. Sie stellte die geplante EU-Osterweiterung unter den Aspekt der Solidarität. Diese müsse
gegenüber den Beitrittskandidaten, aber auch zwischen den Mitgliedsstaaten geübt werden.
Nachteilige Folgen einer Erweiterung müßten abgefedert werden, denn nicht das Tempo der Erweiterung sei entscheidend, sondern ihre Qualität. Durch spezielle Fördermaßnahmen müsse Bedacht darauf
genommen werden, daß die Hauptlast dieses Prozesses nicht von den angrenzenden Ländern und Regionen allein getragen werden müsse, weshalb es geeigneter Infrastrukturprojekte bedürfe, um eine
Zukunftsregion Süd-Ost zu schaffen.
VP-Bundesrat Vincenz Liechtenstein sah in der EU-Erweiterung Chancen, aber auch Risken. Für die von der Erweiterung am meisten betroffenen Regionen müßte denn daher auch entsprechend Vorsorge
getroffen werden.
Horst Freiberger von der SPÖ sprach sich in diesem Zusammenhang dafür aus, den Menschen in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen: "Arbeitsplätze, grenzüberschreitende Sicherheit,
Umweltschutz, Kriminalitätsbekämpfung und vor allem Frieden" seien die Prioritäten der Bürger, auf die Bedacht genommen werden müsse.
Hannes Missethon (VP) nannte die Öffnung der Grenze zu Osteuropa "eine Erfolgsstory für Österreich" und wies auf die zusätzlichen Arbeitsplätze hin, die durch die enorme Steigerung der
österreichischen Exporte nach Osteuropa geschaffen worden seien.
F-Bundesrat Paul Tremmel wiederum plädierte für ein langsames Vorgehen bei der Erweiterung. Zuerst müßten die wirtschaftlichen und sozialen Standards angeglichen werden.
Weiss nächster Bundesratspräsident
Weiters befaßte sich der Bundesrat in seiner Sitzung mit Beschlüssen des Nationalrates vom 19. Und 20. Mai. Die jeweils zuständigen Ausschüsse empfahlen bei keinem einzigen Verhandlungsgegenstand,
gegen die vom Nationalrat verabschiedeten Gesetze Einspruch zu erheben. Einhellig wurden etwa das EU-Abkommen mit San Marino, das Katastrophenhilfe-Abkommen mit Tschechien und das Kulturabkommen mit
Rußland begrüßt.
Überdies wurden turnusgemäß die Vizepräsidenten, die Schriftführer und die Ordner für das 2. Halbjahr 1999 gewählt. Bundesratspräsident Gottfried Jaud ist noch bis 30. Juni 1999 im Amt, dann folgt
ihm als Vertreter Vorarlbergs der ehemalige Minister und gegenwärtige Bundesratsvizepräsident Jürgen Weiss.Õ
Andreas P. Pittler ist Mitarbeiter des Parlamentarischen Pressedienstes