Der schwächste Punkt jeder | journalistischen Selbstkontrolle ist, dass der Boulevard meist wegsieht. Schlecht, denn der Trend zur Skandalisierung wächst.
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Die neue "Leseranwaltschaft" ist noch lange kein richtiger Presserat, aber immerhin eine Basis, von der aus man weiterdenken kann. Sie hat mit www.leseranwalt.at eine Hompage, ein noch in der Lade verstecktes Logo und Vertrauenspersonen, die sich um Beschwerden von Zeitungslesern kümmern wollen.
Nicht alle 17 österreichischen Tageszeitungen beteiligen sich an der Prozedur - die "Wiener Zeitung" ist selbstverständlich mit dabei. Also müssten sich die Blätter, die mitmachen, sichtbar zur Leseranwaltschaft bekennen - im Impressum oder auf der Leserbriefseite, damit man weiß, wer dazu gehört und wer nicht.
Die "Kronen Zeitung" ist nicht dabei, aber es gibt, wie der Initiator der Leseranwaltschaft, Claus Reitan, versichert, konstruktive Gespräche mit Chefredakteur Christoph Dichand. Die "Kronen Zeitung" bildete schon für den alten Presserat ein chronisches und zeitweise sogar dramatisches Problem - mit Millionenklagen des Verlags gegen Presseräte. Die "Krone" heimste damals die meisten Rügen wegen Verletzung des Ehrenkodex der Presse ein, was nicht weiter verwunderlich war.
Derzeit kann ihr nichts passieren. Den Presserat gibt es nicht mehr, ob die Leseranwaltschaft von sich aus aktiv werden wird und sagt, was richtig und falsch ist, bleibt fraglich. Offenbar haben die Leseranwälte die Kompetenz dazu erst, wenn sie sich diese Kompetenz auch nehmen.
Prompt liegt bei ihnen eine erste bis auf weiteres unerledigte Beschwerde gegen die "Krone" vor. Ein Artikel von Peter Gnam mit dem Titel "Das Märchen vom armen Asylanten" stand am 7. Juni in der "Krone" und gipfelte in Feststellungen wie: "Diese Leute kommen, um hier zu stehlen, einzubrechen, organisiert zu betteln. Und was die Forderung betrifft, die Asylanten sollten arbeiten dürfen, stellt sich sofort die Frage, was können sie denn? Wer nimmt einen Georgier, einen Schwarzafrikaner, und vor allem für welche Arbeit?"
In solchen Fällen ist kein Streit zu schlichten. Der Leseranwalt wäre gefordert, eine klare Stellungnahme abzugeben, ob solche pauschalierenden, ganze Personengruppen abwertenden Kommentare zulässig sind. Die "Kronen Zeitung" hat aber schon 2006 in einer Stellungnahme ihres Justiziars Ernst Swoboda vorsorglich deponiert, dass sie keinerlei Sinn darin sähe, wenn die Presse-/Leseranwaltschaft eine Berichterstattung aus eigenem Antrieb rügen oder prüfen sollte. Man werde sich auch nicht bereit erklären, einschlägige Stellungnahmen der Leseranwaltschaft automatisch zu veröffentlichen. Kurz: Die "Krone" steht weiterhin abseits.
Hinzuzufügen ist, dass Fehlleistungen der "Krone" mit ihren fast 900.000 verbreiteten Exemplaren und einer Reichweite von 44 Prozent zwar besonders gravierend sind - man nehme nur ihre von jeder sachlichen Auseinandersetzung abgehobene Anti-EU-Kampagne, die vorige Woche zum Blattaufmacher "Tag des Verrats an Österreich" führte. Aber das Feld einer manchmal zügellosen Boulevardberichterstattung wird auch von anderen Medien gern beackert. Mit "Österreich", manchen Gratisblättern und der in allen Medien wachsenden Tendenz, Tabus zu brechen, ist die Problemgesellschaft der Medienbranche reich bestückt. Dagegen helfen weder Kummer-Nummern noch verdienstvolle Einzelaktionen wie ein "Leserbeauftragter" beim "Standard". Aus der Leseranwaltschaft wird mehr werden müssen, wenn sie nicht bloß der Beschwichtigung dienen soll.