AMS-Mitarbeiter leiden unter immer mehr Gewalt und klagen über Burnout.
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Wien. Um das Arbeitsmarktservice (AMS) Wien tobte zuletzt ein heftiger politischer Streit: Nach der Bestellung von Petra Draxl zur neuen Geschäftsführerin (statt der besser klassifizierten Inge Friehs) hing zwischen den Sozialpartnern kurzfristig der Haussegen schief. Kein Vergleich sind diese Turbulenzen allerdings zu dem, was sich im harten Alltag an der Kundenfront im AMS abspielt. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" berichten Betroffene über immer mehr und immer brutalere Übergriffe von Klienten, denen sie stets wehrlos gegenüberstehen: "Wir werden wüst beschimpft, bedroht und oft auch geschlagen", schildert eine Mitarbeiterin (Name der Redaktion bekannt) die dramatische Lage.
Tatsächlich habe sich das Klima im Gegensatz zu früher massiv verändert: "Geschimpft wurde schon immer. Aber früher haben sie gegen das AMS gewettert - jetzt geht es immer persönlich gegen uns: Schlampe oder Hure stehen mittlerweile an der Tagesordnung", beklagt die langjährige Bedienstete. Beschimpfungen zählen freilich noch zu den harmloseren Aggressionen im AMS-Kundenbereich: "Wenn die Leute betrunken oder unter Drogen sind, fallen alle Hemmungen: Sie greifen sich Sachen vom Schreibtisch und werfen sie auf uns - zuletzt habe ich einen Telefonhörer ins Gesicht bekommen." In einer anderen Dienststelle habe eine Kollegin sogar einen Nasenbeinbruch erlitten. Zwar nicht unmittelbar gefährlich, aber mehr als unangenehm: Ein verärgerter Kunde ließ vor kurzem die Hosen hinunter und pinkelte in eine Ecke des Zimmers. "So etwas geht an die Substanz, uns allen", heißt es von den Mitarbeitern.
Teufelskreis in Gang gesetzt
Diese reagieren auf die Gewalt mit immer mehr Krankenständen wegen Burnout; mitunter sei oft nur noch die halbe Belegschaft im Kundenbereich vertreten, was deren Situation nur noch schlimmer mache - und einen Teufelskreis in Bewegung setze: Wird Klienten das Arbeitslosengeld gestrichen, müssten sie nun wegen der Personalknappheit länger auf einen Termin warten - oft bis zu drei Wochen: "Wenn der Kunde plötzlich nicht mehr die Miete zahlen kann und nicht mehr versichert ist, kommt er schon mit einem riesigen Zorn zu uns."
Die vom Betrieb angebotenen Abwehrmaßnahmen wie Notfalltaste und Deeskalationstraining würden nicht wirklich helfen: "Ich habe mir jetzt einen Pfefferspray zugelegt, obwohl das eine Waffe ist und daher verboten wäre. Aber auch Kunden haben immer öfter Waffen wie Elektroschocker bei sich", berichtet eine Mitarbeiterin. Wichtig wären ihrer Ansicht nach höhere Tische, die nicht übersprungen werden können, oder ein Glasschutz.
Letzteres halten sowohl der Betriebsrat als auch die AMS-Führung für nicht zielführend, da man ja Offenheit signalisieren wolle. Betriebsratsvorsitzende Gabriele Kreutzer kann die Gewalt bestätigen: "In Wien ist die Situation in den vergangenen Jahren sicher schwieriger geworden. Es gibt Übergriffe - und es werden mehr, das stimmt sicherlich." Auch die Fälle von Burnout würden zunehmen, wobei das AMS sehr engagiert sei, mit Präventionsmaßnahmen gegenzuwirken.
Laut Kreutzer habe es mit der neuen AMS-Chefin bereits ein Gespräch über die Gefährdungslage stattgefunden: Unter anderem soll der derzeit auf vier Stunden beschränkte Sicherheitsdienst auf ganztägig erweitert werden; und bereits fix sei, dass bei neuen Dienststellen jedes Zimmer im Kundenbereich einen Fluchtweg nach hinten hat - um bei Attacken nicht eingesperrt zu sein.
Pfefferspray nur Notwehr
Von Selbstverteidigungsmaßnahmen wird weiter abgeraten: "Ein Pfefferspray darf nur in Notwehr-Situationen eingesetzt werden. Weil da die Grenzen fließend sind, kann das Mitarbeiter auch in schwierige Situationen bringen", meint Kreutzer. Differenzierter sieht AMS-Wien-Sprecher Sebastian Paulick die Lage: "Wir merken, dass die Menschen durch die wirtschaftliche Situation angespannter sind als noch vor ein paar Jahren. Eine deutliche Zunahme an Übergriffen belegen die Zahlen aber nicht." (In Wien waren Ende Juni 76.456 Menschen arbeitslos gemeldet, zuzüglich 24.522 Schulungsteilnehmern.)
Laut Paulick gebe es zwar Burnout-Fälle, aber diese würden kein "strukturelles Problem" darstellen. "Unsere Mitarbeiter machen einen harten Job und müssen viel aushalten. Und sie machen das wirklich fantastisch."