Das Urteil des Landgerichts Köln über die männliche Beschneidung hat einen religionsrechtlichen Medienhype ausgelöst.
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Auszugehen ist davon, dass es - wie in der Entscheidung richtig gesehen wird - bei der rechtlichen Beurteilung der Beschneidung von Knaben um eine Abwägung widerstreitender Grundrechte geht. Dabei kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine wesentliche Bedeutung zu, wie dies für den Bereich der Grundrechtsauslegung charakteristisch ist.
Das Kölner Gericht ist aufgrund des Abwägungsprozesses zum Ergebnis gelangt, dass die Veranlassung der Beschneidung durch die Eltern die tatbestandsmäßige Körperverletzung nicht zu rechtfertigen vermag, da sie dem Wohl des Kindes widerspräche. Es wird damit im Kontext des Kindeswohles die soziale Funktion für die religiöse Identitätsfindung jedoch völlig übersehen. Das Argument des Gerichts, dass das "Erziehungsrecht der Eltern nicht unzumutbar beeinträchtigt [wird], wenn sie gehalten sind abzuwarten, ob sich der Knabe später, wenn er mündig ist, selbst für die Beschneidung als sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit" zu seiner Religion entscheidet, spielt die Bedeutung der Zirkumzision für die jeweilige religiöse Identität in unzulässiger Weise herunter.
In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass das Gericht die körperliche Unversehrtheit des Unmündigen gleichsam in die religiöse Unversehrtheit einbettet. Über die religiöse Zugehörigkeit soll man erst nach der Mündigkeit entscheiden können, sodass diese Dimension in absurder Weise aus dem komplexen Erziehungsprozess ausgeblendet bleiben soll.
Dies führt auch zur unsinnigen Formulierung, dass die Beschneidung "dem Interesse des Kindes zuwider läuft, später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können". Es ist weder eine Religion bekannt, der ein beschnittener Mann nicht beitreten könnte, noch, dass dies ein Hindernis wäre, sich vom Glauben überhaupt abzuwenden.
Unbestritten ist, dass die Beschneidung grundsätzlich eine Körperverletzung darstellt und daher einer Rechtfertigung bedarf. Im österreichischen Strafgesetzbuch (§ 90) wird im Falle eines medizinischen Eingriffs ganz allgemein die "Einwilligung des Verletzten" verlangt. Diese Einwilligung hat gegebenenfalls durch die Eltern oder andere Obsorgeberechtigte zu erfolgen, wobei der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen Rechnung zu tragen ist.
In den Abwägungsprozess muss auch die Tatsache einbezogen werden, dass die vielfach aus gesundheitlichen und hygienischen Gründen vorgenommene Zirkumzision einen vergleichsweise geringfügigen Eingriff darstellt. Für die österreichische Rechtslage ist auf den 2004 in § 90 StGB hinzugefügten Absatz 3 zu verweisen: In "eine Verstümmelung oder sonstige Verletzung der Genitalien, die geeignet ist, eine nachhaltige Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens herbeizuführen", kann nicht eingewilligt werden, selbst bei Zustimmung der Betroffenen. Damit hat der Gesetzgeber einerseits die Rechtswidrigkeit der weiblichen Genitalverstümmelung klargestellt und andererseits eine deutliche Abgrenzung zur männlichen Beschneidung vorgenommen.