Amnesty International verortet im Jahresbericht einen "Wendepunkt" bei den Menschenrechten.
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Am Tag als Amnesty International ihren Jahresbericht für 2022 an die Redaktionen schickte, kesselten Polizisten in Wien Demonstranten gegen die Europäischen Gaskonferenz ein und besprühten sie mit Pfefferspray. Wasser auf den Mühlen der Menschenrechtsorganisation, die von einem unverhältnismäßigen Einsatz sprach und vor einer "Kriminalisierung friedlicher Proteste" warnte.
Wenn es nach der NGO geht, war auch schon 2022 ein schwieriges Jahr für Menschenrechte, auch in Österreich. Im am Dienstag veröffentlichten Jahresbericht fand der österreichische Ableger der internationalen Menschenrechtsorganisation viel Kritikwürdiges und spricht sogar von mehreren schweren Menschenrechtsverletzungen. Dazu zählen illegale Pushbacks, verschwundene Kinder, vermehrter Druck auf die Pressefreiheit und fehlende Konsequenzen bei überschießender Polizeigewalt.
"Österreich steht an einem Wendepunkt im Kampf um die Menschenrechte", warnt Amnesty-Geschäftsführerin Annemarie Schlack. Sie fordert Maßnahmen gegen Menschenrechtsverletzungen und für "ein Leben in Würde und Sicherheit" in Österreich.
Verschwundene minderjährige Geflüchtete
In ihrer Presseaussendung beschäftigt sich Amnesty International zuerst einmal mit Aussagen einzelner Politiker wie FPÖ-Niederösterreich-Chef Udo Landbauer und ÖVP-Klubobmann August Wöginger, die die europäische Menschenrechtskonvention in Frage gestellt haben. Solche Aussagen seien "besonders besorgniserregend, da die Menschenrechte ein Grundpfeiler einer gerechten Gesellschaft" seien, schreibt die Organisation, die eine menschenrechtsfeindliche Rhetorik verortet.
Vor allem im Umgang mit Geflüchteten sieht Amnesty International Handlungsbedarf: Wörtlich spricht es von einem "Versagen Österreichs beim Schutz von Geflüchteten" und verweist auf einen gerichtlich bestätigten Fall eines illegalen Pushbacks. Ein Marokkaner wurde von der Polizei widerrechtlich nach Slowenien zurückgeschoben. Das Gericht stellte fest, dass solche Pushbacks "teilweise methodisch" vorkommen würden.
Nachdem 2022 über 11.000 geflüchtete Kinder verschwunden sind, fordert Amnesty International einen "Obsorgeberechtigten für alle unbegleiteten Minderjährigen", sobald sie in Österreich ankommen. "Es ist, als ob eine komplette Kleinstadt verschwunden wäre und die Politik schaut weg", so Schlack zu den verschwundenen Kindern.
Auch die Handhabe von Geflüchteten aus der Ukraine, die keinen Zugang zur Sozialhilfe und Hürden beim Zugang zum Arbeitsmarkt haben, ist der Organisation ein Dorn im Auge. Privatpersonen, die Ukrainer aufnehmen, bräuchten zudem "eine bessere finanzielle und organisatorische Unterstützung".
Fehlende Rechenschaft für Polizisten
Auch die wochenlange Unterbringung von Asylwerbern in Zelten bei niedrigen Temperaturen führt Amnesty International als Beispiel für eine mangelnde Versorgung an. Das Problem lag in erster Linie an einem Streit zwischen Bund und Ländern und nicht nur an zu wenig verfügbaren Plätzen, wie die "Wiener Zeitung" damals berichtete.
Aber nicht nur die Situation der Flüchtlinge wird von Amnesty International aufgegriffen. Man nutzte den Jahresbericht auch, um eine erst kürzlich geäußerte Kritik noch einmal zu wiederholen: Im März stellte die Bundesregierung Pläne für eine Beschwerdestelle für Polizeigewalt vor. Amnesty International stört sich daran, dass die Stelle im Innenministerium angesiedelt ist. Das sei "mangelhaft und entspricht insbesondere im Hinblick auf die Unabhängigkeit nicht völkerrechtlichen Standards", so Schlack.
Polizeihandlungen würden sich auch negativ auf die Pressefreiheit auswirken, wie die NGO feststellt: So würden Journalisten und Journalistinnen bei Demonstrationen von Exekutivbeamten einerseits immer wieder in ihrer Arbeit behindert und andererseits nicht vor Angriffen durch Demonstrierende geschützt. (pak)