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Besorgniserregendes aus Budapest

Von Karl Pfeifer

Politik

Mehr als zehn Jahre nach der Wende erhält man in Ungarn das Gefühl, dass überwunden geglaubte Gespenster der Vergangenheit wieder zurückkehren. Die Rechten in Ungarn sprechen häufig, vom "1000- | jährigen christlichen Ungarn" und von "christlichen Werten". Eine besondere Rolle dabei spielt der von Sandor Csoori geleitete, vom Staat subventionierte Weltverband der Ungarn.


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Csoori, ein angesehener Dichter, der sich vor einigen Jahren · trotz nicht einmal einem Prozent Juden in der Bevölkerung · zu der erstaunlichen Behauptung verstieg: "Das liberale ungarische

Judentum will das Ungartum in Geist und Denkweise assimilieren", muß wenigstens in seiner nächsten Umgebung nicht mehr eine solche Gefahr erkennen. Denn auf einem Büchertisch, der sich in der

Budapester Zentrale des Weltverbands befindet, wird heidnisch-esoterische "Literatur" verkauft, daneben ein bereits 1936 erschienenes antisemitisches Machwerk "War Jesus Jude ?", in dem behauptet

wird, Jesus wäre ein Skythe gewesen. Ansonsten sind dort fast nur ungarische Nazibücher erhältlich, so auch eine "Geschichte der Ritualmorde", in der diese den Juden vorgeworfen werden.

Mit solcher Propaganda wurde 1944 die Deportation von hunderttausenden ungarischen Juden vorbereitet, die nach der Besetzung Ungarns durch deutsche Truppen von der königlich ungarischen Gendarmerie

mit unvorstellbarer Grausamkeit innerhalb von sechs Wochen in die nach Auschwitz abfahrenden Viehwaggons gepfercht wurden.

Im sich stolz zur Demokratie und zum Bürgertum bekennenden Ungarn, das in die EU strebt, hat Zsolt Lanyi, Vorsitzender der Verteidigungskommission des Parlaments und Mitglied der regierenden

Kleinlandwirtepartei am 19. Oktober im Hof des Museums der Kriegsgeschichte eine diese Waffengattung ehrende Tafel angebracht. Dadurch ermuntert versuchen einige rechte Kreise auch den

Kriegsverbrecher Laszlo Bardossi zu rehabilitieren, der als Ministerpräsident 1941 eine Reihe von rassistischen Gesetzen gegen Juden durchsetzte und das Land in den Krieg gegen die Sowjetunion

hineinzog.

Die Regierung genießt die stillschweigende und manchmal recht laute Unterstützung der rechtsextremistischen von Istvan Csurka angeführten MIEP und um ihr ein Signal zu geben, ernannte man den

rechtsextremen Journalisten Istvan Lovas zum Berater des staatlichen Fernsehens. Er unterstellte dem Schriftsteller Imre Kertesz, einem Auschwitzüberlebenden, anläßlich seines 70. Geburtstages die

"Ungarn nicht zu lieben", "die Auschwitzlüge" zu gebrauchen sowie die Verantwortung für die Deportation der Juden den ungarischen Gendarmen in die Schuhe zu schieben.

All dies wird nun übertroffen von der Historikerin Maria Schmidt, die Mitte November ihren Vortrag über "mehrere Holocauste" veröffentlicht hat. Sie meint, Juden würden den Holocaust erfolgreich als

"Markenartikel" gebrauchen und "Die Ausrottung der Juden oder ihre Rettung war nicht unter den Kriegszielen der kämpfenden Seiten". So Schmidt, die an der katholischen Universität Budapest Geschichte

lehrt und Beraterin des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban ist.

Bei einer offiziellen Begegnung zwischen Vertretern der Regierung und führenden Repräsentanten der vier großen historischen Glaubensgemeinschaften Mitte November brachte Oberrabbiner Josef Schweizer

seine Besorgnis über einen in letzter Zeit wieder verstärkt um sich greifenden Antisemitismus zum Ausdruck. Worauf Ministerpräsident Orban zur Eindämmung eines erneuten Vordringens des Antisemitismus

in Aussicht stellte, dass die Regierung in naher Zukunft einen Vertreter zur Behandlung der angesprochenen Probleme ernennen werde. Damit dürfte auch zusammenhängen, dass im Amt des

Ministerpräsidenten eine Hauptabteilung gegründet wurde, um das Image Ungarns zu verbessern, die im kommenden Jahr über ein Budget von rund 230 Millionen Schilling verfügen wird.