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Bespitzelung des ganzen Volkes

Von Günter Haase

Politik

Fast auf den Tag genau vier Monate nach der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik haben die Abgeordneten der Provisorischen Volkskammer auf ihrer 10. Sitzung am 8. Februar 1950 unter Punkt 4 der Tagesordnung ein Gesetz zur Bildung eines neuen Ministeriums beschlossen.


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Der nur zwei Paragraphen umfassende Gesetzentwurf, dessen Wortlaut in der Drucksache Nr. 41 vorliegt, sieht in dürren Worten lediglich die Umbildung der bisher dem Ministerium des Innern unterstellten 'Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft' zu einem selbständigen Ministerium für Staatssicherheit vor. Eine Definition der Aufgaben und Zuständigkeiten des neuen Ministeriums enthält das Gesetz nicht.

Vage Ausführungen

Und auch Innenminister Steinhoff, der den Gesetzentwurf im Plenum zu begründen hat, begnügt sich mit einigen vagen Ausführungen über den "zuverlässigen Schutz der volkseigenen Betriebe, landwirtschaftlichen Güter und des Verkehrswesens vor verbrecherischen Elementen, feindlichen Agenten, Diversanten, Saboteuren und Spionen". Kaum einer der Abgeordneten ahnt an diesem Tag, dass er soeben der Bildung einer Institution zustimmt, die in den nächsten Jahren als allmächtiger Geheimdienst nach sowjetischem Vorbild mit einem Heer von Mitarbeitern zum 'Staat im Staate' aufsteigen wird.

Zwei Minister "gescheitert"

Doch noch hat der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 nicht stattgefunden, der für den ersten Minister für Staatssicherheit Wilhelm Zaisser das Ende seiner politischen Karriere bedeuten wird.

Noch hat der 20. Parteitag der KPdSU nicht stattgefunden, der dessen Nachfolger Ernst Wollweber zu der Fehleinschätzung veranlassen wird, dass auch die DDR reif für eine Tauwetter-Periode ist. Im November 1957 wird er deshalb aller seiner Ämter enthoben und von seinem bisherigen Stellvertreter, dem Generalleutnant Erich Mielke, einem in Moskau geschultem Alt-Stalinisten, abgelöst. Auf einer ZK-Tagung im März 1962 - zwölf Jahre nach jenem Volkskammer-Beschluss zur Bildung des "Ministeriums für Staatssicherheit" und sieben Monate nach dem Bau der Mauer - glaubt sich Mielke noch immer von feindlichen Agenten und Spionen umgeben: "Genossen, ich habe nur über die Hauptagenten berichtet. Es sitzen natürlich 'ne ganze Reihe Nebenagenten, die das alles noch bestätigen. Beweismittel sind also Zeugen, Dokumente, Aussagen, Gutachten...alles was also gehört, um den Nachweis zu liefern, dass das, was ich hier dem ZK vortrug...äh...zurecht vorgetragen wurde".

Individualität aufheben

Doch es sind keineswegs vom Feind angeworbene Agenten, vor denen sich die Partei- und Staatsführung fürchtet. Vielmehr sollen jene Kräfte im eigenen Volk ausgemacht und isoliert werden, die der Vision einer "sozialistischen Menschengemeinschaft" im Wege stehen, in welchem die Individualität zugunsten der Gemeinschaft aufgehoben werden und jeder einzelne sich zu Staat und Gesellschaft bekennen soll.

Ein ganzes Volk soll zum homogenen Kollektiv und jeder der ausschert zum Feind der Gemeinschaft gestempelt werden. Ein aussichtsloses Unterfangen, wie sich schließlich in den Ereignissen vom Herbst 1989 zeigen wird. Und während der greise Erich Mielke seine informellen Mitarbeiter hinter geschlossenen Türen in holprigem Parteichinesisch zu mehr Wachsamkeit zu motivieren versucht, erschallt bereits überall im Lande der massenhafte Ruf nach Demokratie...

Erich Mielke: "Insgesamt reichen die über Antragsteller vorliegenden Informationen nicht aus, um die erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung feindlich negativer Handlungen insbesondere mit provokatorisch-demonstrativen Charakter einzuleiten..."

Machtzentrale von Demonstranten gestürmt

Wenige Tage später stürmen die Demonstranten die Zentrale jenes geheimen Machtapparates, der am 8. Februar 1950 als Drucksache 41 in der Provisorischen Volkskammer als Nachfolgeorganisation der "Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft" seinen Anfang nahm.

Dieser Text wurde uns von der "Deutschen Welle" zur Verfügung gestellt und ist dort Teil der Sendereihe "Rück-Blicke". Er kann auch unter www.dwelle.de (dort: "Kalenderblatt") nachgelesen und online gehört werden.