Zum Hauptinhalt springen

Besser drei Mal überlegen

Von Walter Hämmerle

Politik

Hofburg-Kandidat Alexander Van der Bellen über sein Österreich-Bild, Donald Trump und die Gefahr einer Staatskrise.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Wer ein Gefühl dafür erhalten will, wie lange dieser Wahlkampf schon dauert, muss sich nur vor Augen halten, was seit der ersten Runde am 24. April alles geschehen ist: Im Kanzleramt sitzt längst Christian Kern, die Briten haben für den Brexit gestimmt und die USA für Donald Trump. Nur Alexander Van der Bellen kämpft nach wie vor um den Einzug in die Hofburg - und immer noch gegen Norbert Hofer.

"Wiener Zeitung": Herr Van der Bellen, wie viele Österreich gibt es für Sie?Alexander Van der Bellen: Naja, geografisch jedenfalls nur eines, und dann gibt es ein buntes Gemisch an Menschen und Landschaften, aber ich würde das nicht so einteilen.

Ich frage, weil man durchaus den Eindruck gewinnen kann, als gehe es bei der Entscheidung zwischen Ihnen und Norbert Hofer um Österreichs Identität - kulturell, politisch und gesellschaftlich.

Das könnte man schon so sagen. Wir leben in Zeiten des Umbruchs, wo nicht klar ist, wohin Österreich geht. Das spiegelt sich in dieser Richtungswahl wider.

Für welche Idee von Österreich wollen Sie stehen?

Für ein modernes, innovatives, tolerantes und weltoffenes Österreich, ein bisschen so wie Deutschlands Kanzlerin Merkel ihr Glückwunschtelegramm an Donald Trump formuliert hat. Sie bot ihm eine Zusammenarbeit auf Basis von Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde jedes einzelnen Menschen an. Im Grunde genommen ist das auch das Fundament der Erklärung der Menschenrechte.

Heißt das im Umkehrschluss, dass alle Bürger, die Sie am 4. Dezember nicht wählen, auch diese Grundüberzeugung nicht teilen?

Nein, das beziehe ich nicht auf die Wähler von Norbert Hofer, sondern ausschließlich auf das Führungstrio der FPÖ, also auf Heinz-Christian Strache, Herbert Kickl und eben Norbert Hofer. Bei den Wählern hat jeder seine eigenen Gründe und Motive, sich so oder so zu entscheiden.

Darf man gegen Zuwanderung sein?

Darf man . . . Wenn Sie das als moralische Frage verstehen . . .

Nein, die Frage ist politisch gemeint: Ist es zulässig, sich in einer liberalen Demokratie gegen Zuwanderung auszusprechen, gehört das zum legitimen Meinungsspektrum?

Ich finde es auf jeden Fall unvernünftig, weil Österreich Zuwanderung aus demografischen und ökonomischen Gründen benötigt. Hinzu kommt, dass wir schon in der Vergangenheit ein Zuwanderungsland waren, in der Habsburger-Monarchie, dann in der Ersten und auch in der Zweiten Republik.

Sie weichen der Antwort aus.

Wenn Sie so hartnäckig nachfragen: Ja, es ist legitim, sich politisch gegen Zuwanderung auszusprechen, das gehört - anders als etwa die Forderung nach Einführung der Todesstrafe oder die Leugnung des Holocaust - zum zulässigen Meinungsspektrum. Es ist schon okay, dass Politiker über Form und Ausmaß von Migration streiten.

"Establishment" war einmal ein linker Kampfbegriff gegen die bürgerliche Gesellschaft, wie auch Störaktionen von Aufführungen oder symbolische Inbesitznahme des öffentlichen Raums. Jetzt bedienen sich die neuen Rechten und Populisten dieser Methoden. Und die neuen Eliten reagieren genau so überrascht und empört wie die alten. Erkennen Sie Ihre eigene Vergangenheit in der Gegenwart wieder?

Ja, aber nur was die Methoden angeht, die Ziele waren ganz andere. Den 68ern in Deutschland und auch bei uns ging es zunächst um eine Reform der Universitäten, aber in erster Linie wandte sich der Protest gegen ein Establishment, das nach wie vor von Menschen durchsetzt war, die schon im Nationalsozialismus Karriere gemacht hatten und immer noch da waren. Und jetzt erleben wir einen Donald Trump als Kämpfer gegen das Establishment und für die Zurückgelassenen: Da kann ich nur lachen! Dabei gibt es diese Vernachlässigten tatsächlich, nur wehren sie sich auf eine Weise, die - so befürchte ich - ihren wirklichen Interessen nicht hilfreich ist. Besonders deutlich hat sich das beim Brexit-Votum gezeigt, wo die Menschen in vielen abgehängten Regionen für den EU-Austritt gestimmt haben, obwohl sie doch eigentlich vor allem der konservativen Regierung einen Denkzettel verpassen wollten. Das hat sich auch jetzt bei der Wahl von Trump in den USA gezeigt. Aber wir werden sehen, was die nächsten zehn Jahre bringen werden.

In der Frage des umstrittenen Handelsabkommens zwischen der EU und Kanada vertreten Sie die gleiche Haltung wie Hofer: Sie beide erklären, Ceta als Bundespräsident ungeachtet einer Mehrheit im Nationalrat nicht zu unterzeichnen.

Da muss ich Sie korrigieren. Ich sage: Stand heute und wäre ich Bundespräsident, dann hätte ich große Schwierigkeiten, Ceta zu unterzeichnen, weil ich zwar ein Anhänger des Freihandels bin, was für ein Land wie Österreich wichtig ist. Aber gleichzeitig kann man deshalb nicht über die Interessen der Bauern und des Lebensmittelhandels hinweggehen. Und dann gibt es noch die Problematik der internationalen Schiedsgerichte. Was jetzt geschieht, ist ein vorläufiges Inkrafttreten des Abkommens unter Bedingungen. Deshalb haben wir wahrscheinlich Jahre Zeit zu debattieren, welche Bedenken ausgeräumt werden können.

Sie halten sich aber bewusst die Option offen, gegen eine Mehrheit des Parlaments die Unterschrift unter ein internationales Abkommen zu verweigern: Darin liegt, aufgrund des Präzedenzfalls, der Keim zu einer massiven Staatskrise.

Absolut, da haben Sie recht. Wenn tatsächlich eine Mehrheit des Parlaments dafür stimmt, dass ein Abkommen im Interesse Österreichs liegt, dann muss sich jeder Bundespräsident drei Mal überlegen, seine Zustimmung zu verweigern. Deshalb bin ich hier so vorsichtig. Gottseidank gibt es jetzt nur ein vorläufiges Inkrafttreten von Ceta und nach einigen Jahren sehen wir dann alle klarer die Vor- und Nachteile. Wegen genau dieser grundsätzlichen Problematik trete ich für ein Gremium von Verfassungsexperten ein, die nach der Wahl die Kompetenzen des Bundespräsidenten, die großen wie die kleinen, einmal genau analysieren soll, ob alle wirklich noch in das 21. Jahrhundert passen.

Ist es nicht seltsam, dass wohl nur ein Bruchteil der Wählerstimmen darüber entscheiden wird, ob Österreich nach dem 4. Dezember von den Medien im In- wie Ausland entweder als leuchtendes Beispiel eines erfolgreichen Abwehrkampfs gegen den Rechtspopulismus oder aber als eine weitere gefährdete Demokratie beschrieben werden wird? Ist das wirklich angemessen?

Dieser Verantwortung muss sich jeder Wähler stellen, und ich finde das nicht so schwer: Es gibt zwei Kandidaten, zwei Programme und der Zeitaufwand ist ebenfalls überschaubar. Und tatsächlich ist es so, dass auch ausländische Medien diese Wahl sehr genau beobachten und fragen, wie es nur sein kann, dass ein Kandidat, der Europa skeptisch bis ablehnend gegenübersteht, so viele Stimmen erhält. Das weckt, finde ich, berechtigte Sorgen. Und dass auch knappe Entscheidungen den Lauf der Geschichte verändern können, dafür ist die Volksabstimmung 1978 über das AKW Zwentendorf das beste Beispiel. Damals hat eine hauchdünne Mehrheit von 50,5 Prozent der Wahlbeteiligten dagegen gestimmt - und trotzdem wurde das knappe Ergebnisse von allen akzeptiert. Aber ja, es gibt auch Abstimmungen, nach denen die zutage getretene Spaltung des Landes bestehen bleibt, die keine allgemeine Akzeptanz erfahren. Ich hoffe sehr, dass dies nach dem 4. Dezember nicht der Fall sein wird.

Letzte Frage: Was ist bei dieser Persönlichkeitswahl Ihr größter Nachteil und Hofers größter Vorteil?

Dass ich bei den Grünen war, wird mir oft vorgehalten, vor allem auf dem Land ist das für viele ein rotes Tuch. Hofer ist dagegen ein unbeschriebenes Blatt und er beherrscht ganz ausgezeichnet diverse schmutzige Tricks, ein Gespräch zu zerstören. Nur qualifiziert ihn das nicht für das Amt des Bundespräsidenten.

Der Wahlhelfer - vergleichen Sie ihre Antworten mit denen der Kandidaten.