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Besser Fehler zugeben als verschweigen

Von Edwin Baumgartner

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Wenn die Wächter der politischen Korrektheit auf Kunst und Kultur, zumal jene früherer Zeiten, treffen, blüht daraus meistens ein Krampf. So nun in Italien, wo die Menschenrechtsorganisation "Gherush92" fordert, man möge die "Göttliche Komödie" Dante Alighieris aus den Lehrplänen streichen oder zumindest reinigen, denn das Epos enthalte Antisemitisches und Islamfeindliches. Der Dichter nämlich verbanne Jesu Verräter Judas ebenso wie den Religionsgründer Mohammed in die Hölle. Und das dürfe in Zeiten wie den gegenwärtigen nicht mehr sein.

Wenn dieses Argument stimmt, dann muss man freilich einen großen Teil der abendländischen Kunst in die Tonne treten. Denn, man mag es noch so beklagen, aber es ist die unumstößliche Wahrheit: Der Antiislamismus ist ebenso Teil dieser abendländischen Kultur, wie anti-christliche Ressentiments Teil der islamischen Kultur sind. Wovon man sich etwa beim Besuch ehemals christlicher Kirchen in Istanbul jederzeit überzeugen kann.

Noch tiefer ist der Antisemitismus in der abendländischen Kultur verwurzelt, die vor der Tatsache die Augen verschloss, dass Christus Jude und das Christentum im Ursprung eine jüdische Sekte war. Selbst Leonardo da Vincis Judas-Darstellung ist wenig schmeichelhaft. Soll man das "Letzte Abendmahl" abschlagen? Oder soll man sich aufklärend mit den Irrtümern der Vergangenheit befassen? Schließlich ist das aufklärende Zugeben der Fehler, auch weil es mehr Mut erfordert, ein höheres Gut als ein durch Tilgungen und Korrekturen erreichtes, die Wahrheit verfälschendes Verschweigen.