Synodalversammlung in Frankfurt fordert Abschaffung des Pflicht-Zölibats. Tradition erweist sich allerdings als zählebig.
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Missbrauchsskandale, Mitgliederschwund, Priestermangel: Die katholische Kirche ist Probleme gewohnt, für zusätzliches Ungemach sorgen kritische Theologen. Menschen wie der abgesetzte österreichische Priester Rudolf Schermann, der die Amtskirche ablehnt, im Papst keinen "Heiligen Vater", sondern einen "Diener der Diener Gottes" sieht und meint, dass gewählte Diakone und Diakonissen völlig ausreichen würden. Und die, wie der zuletzt verstorbene Theologe Hans Küng, vehement für die Abschaffung des Zölibats eintreten.
Ein No-Go für Rom, doch jetzt tritt kein Geringerer als Münchens Erzbischof Kardinal Reinhard Marx gegen die verpflichtende Ehelosigkeit für Priester auf. Das ist bemerkenswert, schließlich gehört ein Kardinal dem obersten Kirchengremium an und ist zur Papstwahl zugelassen. "Ich denke, so, wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen", meinte Marx zuletzt gegenüber der "Süddeutschen Zeitung". "Bei manchen Priestern wäre es besser, sie wären verheiratet." Wenn dann alle katholischen Priester plötzlich heiraten würden, würde es ihn freuen, so Marx.
Unterstützung bekommt er vom Berliner Erzbischof Heiner Koch und vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing. Am Freitag schließlich hat der "Synodale Weg" zur Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland in erster Lesung eine Initiative zur Lockerung der Zölibatsvorschrift für Priester beschlossen. Der Text fordert nicht mehr und nicht weniger als die Zulassung verheirateter Priester in der römisch-katholischen Kirche durch den Papst oder durch ein Konzil.
Angst vor Aufstand
Mit Papst Franziskus haben die deutschen Kleriker zwar einen weltoffenen, liberalen Mann in Rom; am Gebot der Enthaltsamkeit will der aber nicht wirklich rütteln. Das hätte einen Aufstand konservativer Kleriker zur Folge, was auch der unerschrockene Mann auf dem Stuhl Petri nicht riskieren will. Im Abschlussdokument der Amazonas-Synode 2019 mit dem Titel "Querida Amazonia" ("Geliebtes Amazonien") ist von einer Lockerung nicht die Rede, das Thema wird vielmehr großräumig umschifft.
Die jüngst erfolgte systematische Aufarbeitung von Missbrauch durch Kirchenmänner in Deutschland hat zumindest dort einen Umdenkprozess beschleunigt. Wobei der ehemalige Papst Benedikt XVI. in der Kritik steht, weil er offenbar von der Verschleierung von Missbrauchsfällen wusste und die Unwahrheit gesagt hat. Kardinal Marx war in die "Lügen"-Strategie des Ex-Papstes schon früh eingebunden, wie die "Frankfurter Allgemeine" zuletzt schrieb.
Die Frage, inwieweit der Zölibat Ursache für die zahllosen kriminellen Übergriffe in der katholischen Kirche ist, ist umstritten. Der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner stellt aber fest, dass es "strukturelle Begünstigungen für pädophile Personen in der Kirche" gibt. Dass das Verbot, Sexualität ungehindert auszuleben, Missbrauchsfälle begünstigt, liegt auf der Hand.
Die Kirche habe endlich begriffen, so Zulehner in Reaktion auf den jüngsten Missbrauchs-Bericht einer Münchner Anwaltskanzlei, der deutlich macht, dass es um Prävention zum Schutz der Kinder gehe.
Also stellt sich die Frage, warum sich das priesterliche Enthaltsamkeitsgebot in der katholischen Kirche so hartnäckig hält: Der Gedanke der Ehelosigkeit für Priester setzte sich im Mittelalter durch, Historiker sprechen vom 11. Jahrhundert. Es ging um die Bewahrung der "kultischen Reinheit" jener Personen, die täglich die Messe lasen. Dazu kamen handfeste vermögenspolitische Überlegungen: Man wollte verhindern, dass Priester Kirchenbesitz an ihre Nachkommen vererben. Auch wird als Vorbild das Leben Jesu Christi ins Treffen geführt, der laut Bibel bekanntlich unverheiratet war.
Feministinnen weisen darüber hinaus auf eine institutionalisierte frauenfeindliche Haltung hin. Bis heute ist Frauen in der katholischen Kirche der Zugang zum Priesteramt verwehrt, Frauen galten früher als "unrein", Sexualität genau deshalb als "schmutzig", schon deshalb sollten Pfarrer den Kontakt zu ihnen meiden. Später wurde das Wort des Apostels Paulus ins Treffen geführt, dass die Frau in der Kirche schweigen möge (mulier taceat in ecclesia).
In diesem Zusammenhang weisen Beobachter auf den paradoxen Umstand hin, dass es auch für berufstätige Frauen, etwa in der Schweiz der 1950er Jahre, eine Art Zölibat gab. So konnten sie zwischen Ehe oder Beruf wählen. Eine "richtige Frau" fügte sich nach der Heirat ihrer "natürlichen Bestimmung" als Hausfrau, wer darauf verzichtete und die Berufswelt vorzog, blieb zeitlebens ein eheloses "Fräulein".
Frauen als katholische Priesterinnen lösen auch bei Kardinal Marx spürbares Unbehagen aus. Die Argumente dagegen verlieren für ihn zwar immer mehr an Zugkraft, aber: "Ich bin da nicht am Ende, ich weiß nur, dass wir einen großen Konsens brauchen. Oder man zerbricht das ganze Gebäude." In der Tat ist kaum vorstellbar, dass konservative Kreise, die im Vatikan stark vertreten sind und die ein Ende des Pontifikats von Franziskus herbeisehnen, da mitmachen. Eine Kirchenspaltung stünde im Raum.
Viele Schlupflöcher
Wobei die katholische Kirche ihren Pfarrern durchaus Möglichkeiten der Nicht-Enthaltsamkeit eröffnet, zahllose Witze legen Zeugnis darüber ab. So wird ein Kirchenmann nicht zwangsläufig seiner Funktion enthoben, wenn er etwa ein sexuelles Verhältnis mit einer Frau hat. Er darf das allerdings nicht offiziell machen und - macht er es offiziell - in seinem Tun trotz Ermahnung seines Kirchenoberen verharren. Leidtragend sind auch hier die Frauen, die oft Kinder mit Priestern haben und eine Schattenexistenz im Verborgenen führen müssen. Es haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Selbsthilfegruppen gebildet.
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist es für "bewährte" verheiratete Männer (Viri probati) möglich, als ständige Diakone priesterähnliche Funktionen auszuüben. Und sollte sich etwa ein verheirateter evangelischer Priester entschließen, zum Katholizismus zu wechseln, so darf er - theoretisch - verheiratet bleiben und trotzdem Priester sein.
Unterdessen kommt es zumindest stellenweise auch zu einem Umdenken in Sachen Homosexualität. Der Luxemburger Erzbischof Kardinal Jean-Claude Hollerich will grundsätzliche Änderungen, die Kirche sei immer mit der Zeit gegangen und habe sich angepasst, sagt er. Die Bewertung von Homosexualität als Sünde halte er für falsch. Homosexuelle Priester und Laien in Luxemburg würden wissen, dass sie in der Kirche ein Zuhause hätten.