Beim Impfen sucht der Kanzler neue Allianzen jenseits der EU. Bei Fehlern im Inland ist er nachsichtiger.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Österreich hinkt beim Impfen hinterher. Natürlich ist das eine Momentaufnahme, und es ist nicht ausgeschlossen, dass die behäbigen Impfprozesse - die Länder sind zuständig - doch noch in die Gänge finden, um wenigstens die geringen Liefermengen schnellstens zu verimpfen. Auf der Habenseite kann die Bundesregierung - Achtung, Momentaufnahme! - darauf verweisen, beim Testen und Aufspürung von Mutationen (mit) an der Spitze zu stehen.
Die Inszenierung von Politik unterscheidet scharf zwischen Gewinnern und Verlierern. Nicht nur Super-Egos ticken so, sondern auch die simple Logik des digital-medialen Komplexes, der jede Debatte in ein Ranking verwandelt. Und die Bürger pochen zu Recht auf die bestmögliche Dienstleistung ihrer Politiker. Daher verlangt jede Abweichung vom Durchschnitt nach Verantwortlichen, wobei bei schlechten Nachrichten stets andere schuld sind. Die EU ist dafür schon lange ein dankbares Opfer.
Aktuell ist die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) nicht nur Kanzler Sebastian Kurz ein Dorn im Auge. Mit seiner Kritik, die EMA lasse sich bei der Zulassung der Impfstoffe zu viel Zeit, steht er nicht alleine da. Die EMA wie die EU insgesamt setzt gemäß ihrer politischen Kultur auf Sicherheit, auch in administrativer und versicherungstechnischer Hinsicht, während etwa die USA, Großbritannien oder Israel erst den lodernden Brand - sprich: die Pandemie - löschen wollen, bevor sie sich mit der Versicherung herumschlagen. Kann man so und so sehen (solange keine schweren Nebenwirkungen auftreten).
Österreich ist nicht der einzige Staat, der bei der Impfstoffbeschaffung aus dem Korsett der EU ausscheren will, weitere werden folgen, wenn es gelingt. Daraus eine Fahnenfrage für die richtige europäische Gesinnung zu machen, wäre ein Fehler; und die EU-Kommission war klug, nicht in diese Falle zu tappen, indem sie erklärte, sie wolle von den Erfahrungen Österreichs, Dänemarks und Israels lernen. Jetzt liegt es an diesen Staaten, bessere Wege zur schnellen Impfstoffbeschaffung aufzuzeigen. Wenn das gelingt, profitieren alle. Wenn nicht, steckten hinter großen Tönen doch keine so großen Taten. Time will tell.
Wie man mit Minderleistungen auch umgehen kann, hat übrigens gerade Mario Draghi vorgezeigt, der nach dem Euro jetzt Italien retten soll. Er hat den Verantwortlichen der schleppenden Impfkampagne ausgetauscht, um zu verhindern, dass jede Region ihre eigene Strategie fährt und alles noch schlimmer wird. In Österreich impfen die Länder, und der Bund ist zufrieden.