Diskussion: Wer soll Grundrechtsschutz wahrnehmen? | Experten fordern Vereinheitlichung der Materie. | Wien. Straßburg war für Österreich in letzter Zeit kein gutes Pflaster. Zwischen Oktober 2005 und Februar 2007 wurde die Alpenrepublik in acht von zwölf Fällen wegen Verletzung der Meinungsfreiheit vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilt. Nur die Türkei hat diese Zahl noch getoppt.
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Für SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim ist das ein klares Zeichen, dass es in den strafrechtlichen Medienverfahren am Grundrechtsschutz happert. Bei einer Enquete machte er sich deshalb vor kurzem für eine Reform des Medienrechts stark.
Das Problem sei, dass das Oberlandesgericht als letzte Instanz in diesen Verfahren keinen ausreichenden Grundrechtsschutz bieten könne. Es gibt zwar noch eine Wahrungsbeschwerde der Generalprokuratur an den Obersten Gerichtshof (OGH), die aber in der Praxis wenig Relevanz hat. Auch der Weg zum EGMR kann für Jarolim das Grundrechtsdefizit nicht ausgleichen.
Die Schwierigkeit beim Grundrechtsschutz im Medienrecht ist das Abwägen zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz. Das, was man an freier Meinungsäußerung der einen Partei zugesteht, muss man der anderen Partei an Schutz der Ehre und der persönlichen Interessen nehmen.
Auch über die kürzliche Ausweitung des Zugangs zum OGH bei Grundrechtsverletzungen in Strafverfahren kann sich Jarolim nicht so richtig freuen. Zwar begrüßt er die Entscheidung des Höchstgerichts, wünscht sich aber eine klare gesetzliche Regelung.
Außerdem droht die vom OGH selbständig erweiterte Grundrechtsprüfung im Jänner schon wieder eingeschränkt zu werden. Im Entwurf des zweiten Strafprozessbegleitgesetzes, das dann in Kraft treten soll, befindet sich zwar ein abschließender Katalog mit Grundrechten, in deren Verletzung eine Beschwerde an das Höchstgericht zulässig ist. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit scheint darin allerdings nicht auf. Die OGH-Richter beurteilen das als eine Verschlechterung und ein Zurückfahren des Grundrechtsschutzes.
Die Medienrichterin Katrin Burtscher sieht bei der Grundrechtsthematik im Medienrecht keinen Reformbedarf. Schließlich ergehen die Straßburger Urteile oft mit jahrelanger Verspätung, nachdem sich die aktuelle Lage hierzulande bereits geändert hat, meint sie. Außerdem seien die Verurteilungen Österreichs nur mit knapper Stimmenmehrheit zustande gekommen und keineswegs eindeutig.
Ansprüche aufgesplittert
Abgesehen von Verbesserungen im Grundrechtsschutz fordern die Experten bei der Veranstaltung auch eine Vereinheitlichung des Medienrechts. Die momentane Aufsplitterung von Ansprüchen führt nämlich zu erheblichen Rechtschutzproblemen sowie hohen Verfahrenskosten. "Üble Nachrede" kann etwa sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich verfolgt werden. Wird dazu noch das Bild des Betroffenen veröffentlicht, ist auch eine Klage nach dem Urheberrechtsgesetz möglich.
"Jedes dieser Verfahren kann einen anderen Ausgang haben. Was nach den Bestimmungen des Mediengesetzes erlaubt ist, kann zivilrechtlich verboten sein", erklärt der Rechtsanwalt Michael Pilz. Er schlägt vor, die Mehrgleisigkeiten abzuschaffen.
Zivil- oder Strafgericht?
Uneinigkeit herrscht, ob das Verfahren künftig vor Zivil- oder Strafgerichten stattfinden soll. Burtscher ist für eine Beibehaltung bei den Strafgerichten, weil sich "das System bewährt hat". Auch wenn das Entschädigungsrecht im Zivilrecht beheimatet ist, wird es "fälschlicherweise" im Strafverfahren abgehandelt. Bei einem Wechsel zu den Zivilgerichten befürchtet die Richterin eine längere Verfahrensdauer.