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Besserwissen wider besseres Wissen

Von Simon Rosner

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Unsachliche Kritik verhindert eine seriöse Auseinandersetzung mit Leistungen von Trainern. | Josef Hickersberger hat Gegner wie Journalisten im Unklaren gelassen, wie er bei der Euro zu spielen gedenkt. Es gab reichlich Spekulationen, doch Gewissheit brachte erst jener Zettel, auf dem die Aufstellungen aufgelistet waren. Er wurde rund eine Stunde vor Anpfiff der Kroatien-Partie im Medienzentrum verteilt. Und mit diesem Zettel setzte auch das übliche "Aha", "Na servas" und "Hääh" bei den einen und das ebenfalls übliche "Hab-ich-mir-doch-gedacht" bei den anderen ein.


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Lediglich der Kollege der "Süddeutschen" meinte nur gelassen: "Der Hickersberger wird sich dabei schon etwas gedacht haben." Natürlich waren die "Hääh"-Typen dann die ersten, die es nach dem Spiel besser wussten. Man hätte natürlich ganz anders spielen müssen.

Die Diskussionen um Taktik und Aufstellung gehören zum Fußball, das sagt sogar Hickersberger, seriös sind derartige Spielereien freilich nicht. Ein Trainer hat seinen Beruf schließlich gelernt, hat, im Fall von Hickersberger, jahrzehntelange Erfahrung darin, er hat wochenlang mit den Spielern gearbeitet und sich intensiv mit dem Gegner beschäftigt. Es gibt also keinen Grund daran zu zweifeln, dass Hickersberger über ein größeres Wissen verfügt als Taxifahrer Norbert M., Zahnärztin Beate F.. und Vertriebsleiter-Stellvertreter a.D. Ing. Werner Sch. Ja, sogar Sportjournalisten haben selbstredend nicht mehr Ahnung als irgendein Trainer, weshalb sie auch nicht besser auf- und das Team einstellen würden.

Den Trainern ist ihr Wissensvorsprung natürlich bewusst, weshalb viele von ihnen - am wenigsten jedoch Hickersberger - gereizt auf Kritik reagieren. Doch diese ständige Konfrontation mit unsachlichen Beurteilungen hat zur Folge, dass die Trainer wenig preisgeben, wenn sie nach ihren taktischen Überlegungen befragt werden. Sie wollen sich nicht noch angreifbarer machen, als sie ohnehin schon sind.

Doch warum soll ein Trainer nicht Fehler machen dürfen? Oder die Vorzüge und Schwächen des Gegners falsch einschätzen? Es ist, wie bei Spielern, die Fehlerhäufigkeit, an der Trainer letztlich gemessen werden sollten. So wie Petr Cech ein Weltklassetorhüter bleibt, obwohl er den Tschechen das EM-Aus beschert hat, so hat auch ein Trainer, der ein Spiel komplett vercoacht, das Recht, weiterhin als guter Trainer zu gelten. Vor allem dann, wenn dem Fehler Siege folgen, die der taktischen Finesse des Trainers zuzuschreiben sind.

Dazu müsste man freilich erfahren, warum ein Trainer so und nicht anders aufstellen und spielen hat lassen. Mit diesem Wissen könnten dann auch Norbert, Beate, Werner und sogar die Sportjournalisten die Gedanken des Trainers seriöser bewerten. Solange sich aber Trainer ob ihrer taktischen Überlegungen in Schweigen hüllen, so lange Fehler der Betreuer tabu sind, so lange werden es Unwissende immer besser wissen.

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"Warum soll ein Trainer nicht Fehler machen dürfen?"