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Euro- und Schuldenkrise sind in aller Munde. Die mindestens so gravierende Krise der Demokratie schafft es dagegen kaum in die Schlagzeilen. Dabei sind deren Folgen so weitreichend wie die atemlos debattierte Gefahr eines Zusammenbruchs der Währungsunion. Sie sind nur nicht so unmittelbar spürbar für den Einzelnen, dessen zentrales politisches Nervensystem bekanntlich vom Wasserstand in der Brieftasche gesteuert wird.
Diese Krise der Demokratie ist dabei weit mehr als nur eine Krise der Parteien oder des gegenwärtigen politischen Personals. Das System nagt an seinen Grundlagen.
Demokratie soll, um es mit den pathetischen Worten Abraham Lincolns zu sagen, die Regierung mit dem Volk, durch das Volk und für das Volk sein. Von dieser hehren Illusion ist allenfalls die Fürsorge übrig geblieben - und dies auch nur, wenn man nicht der immer weiter verbreiteten Überzeugung anhängt, die gesamte politische Klasse sei per se moralisch verdorben.
Natürlich ist es unsinnig, die diversen Konstruktionen zur Euro-Stabilisierung den Wählern ad hoc zur Abstimmung vorzulegen. Fragen dieser Komplexität überfordern auch die mündigsten Bürger. Hierin liegt die ureigenste Stärke der repräsentativen Demokratie.
Das Problem ist, dass nicht einmal die gewählten Volksvertreter einen blassen Schimmer haben, welche Entscheidungen sie hier eigentlich abnicken. Gehören sie einer Regierungsfraktion an, sind sie verurteilt zuzustimmen; falls nicht, herrscht quasi politische Narrenfreiheit. Hoffentlich beschleicht wenigstens die Klügsten unter den Parlamentariern eine Ahnung von der historischen Dimension der ihnen aufgebürdeten Entscheidungen - im Positiven wie im Negativen.
Dass gleichzeitig nur so die Versprechungen von Volksbegehren und Volksabstimmungen und Volksbefragungen auf die Bürger niederprasseln, ist kein Widerspruch. Im Gegenteil. Es ist der hilflose Versuch, den Bürgern vorzugaukeln, sie hätten Einfluss auf den Lauf der politischen Dinge.
Das haben sie nicht. Kein Wähler wird vor der nächsten Wahl wissen, was "seine" Partei im Namen seiner Stimme alles beschließen wird. Nicht im EU-Parlament, nicht im Nationalrat, nicht im Landtag und auch nicht im Gemeinderat.
Das ist, gelinde gesagt, ein erhebliches demokratiepolitisches Problem.