Donald Trump empfängt die deutsche Kanzlerin in Washington. Angela Merkel will ihn trotz der Differenzen zwischen USA und EU von den Vorzügen einer engen transatlantischen Zusammenarbeit überzeugen.
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Washington/Berlin. (reu) Wenn Angela Merkel heute, Dienstag, das Weiße Haus betritt, wird ihr vieles vertraut vorkommen. Denn ihr Gastgeber Donald Trump ist bereits der dritte US-Präsident, den die deutsche Kanzlerin in ihrer mehr als elfjährigen Amtszeit besucht. Auf das Tête-à-tête hat sie sich minutiös vorbereitet und selbst alte Interviews des Immobilientycoons wie das aus dem "Playboy" von 1990 gelesen. Doch trotz aller Vorbereitung gilt das Treffen mit dem 70-Jährigen als eines der schwierigsten in ihrer Amtszeit, schon weil Trump Merkel persönlich mehrfach wegen ihrer Flüchtlingspolitik sehr harsch kritisiert und deutschen Autobauern mit Import-Strafzöllen gedroht hat. Der Besuch etwa des japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe in Washington hat zudem gezeigt, dass schon das bloße Händeschütteln mit Trump riskant sein kann - die Hand Abes hielt er im Oval Office solange umklammert, dass dieser sich danach sichtlich mitgenommen zur Seite drehte.
"Das ist ein außerordentlich wichtiges Treffen - und ein sehr schwieriges dazu", fasst Charles Kupchan, Professor der Georgetown University in Washington, die Dimension des Zusammentreffens zusammen. Merkels Visite wird weltweit sehr aufmerksam beobachtet werden. Liberale US-Zeitungen wie die "New York Times" hatten die Kanzlerin zu ihrem Unwillen nach Trumps Amtsantritt zur letzten Anführerin der freien Welt - und Gegenspielerin des US-Präsidenten - stilisiert. Merkel warnte deshalb früh vor völlig überzogenen Erwartungen, die sie als Regierungschefin einer Mittelmacht wie Deutschland nicht erfüllen könne. Mit konkreten Ergebnissen oder "Deals" sei nicht zu rechnen, bekräftigte jüngst der transatlantische Koordinator der deutschen Regierung, Jürgen Hardt, im Reuters-Interview. Merkel müsse Trump erst einmal die grundlegenden Fakten der transatlantischen Beziehungen und die Funktionsweise der EU erklären. Der Clou sei, Win-win-Situationen zu finden.
"Der erratische Regierungsstil von Trump" habe ein rasches persönliches Gespräch noch dringlicher erscheinen lassen, ist der außenpolitische Sprecher der SPD, Niels Annen, überzeugt. Er habe vor allem die Hoffnung, dass Merkel dem Präsidenten die überragende Bedeutung der EU für Frieden und Prosperität deutlich machen könne. Darauf hoffen auch die kleineren EU-Partner, die Merkel gerade auf dem EU-Gipfel in Brüssel sah. "Sie ist nun einmal die führende Vertreterin des Kontinents", sagte ein EU-Diplomat in Brüssel. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass Trump den britischen Brexit-Befürworter Nigel Farage und die britische Premierministerin Theresa May lange vor der deutschen Kanzlerin empfangen habe.
Strafzölle, Russland, Nahost- die Themenliste ist lang
Inhaltlich gilt die Agenda des ersten Zusammentreffens dabei als weitgehend vorbestimmt. Merkel will nicht nur erklären, warum die EU und die transatlantische Freundschaft für Trump wichtig sein sollten. Sie will auch ausloten, was Trumps wirkliche außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitische Ziele sind. Das betrifft zum einen das Verhältnis zu Russland vor allem vor dem Hintergrund des für die EU entscheidenden Konflikts in der Ukraine als auch den Nahen Osten. Zudem muss sich Merkel darauf einstellen, dass Trump sie erneut wegen zu geringer deutscher Verteidigungsausgaben kritisieren wird. "Merkel muss natürlich die Spionage-Vorwürfe gegen die CIA in Frankfurt ansprechen", fordert der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour. "Außerdem muss sie klarmachen, dass es die EU nur als Paket gibt."
Weil die Kanzlerin schon von US-Vizepräsidenten Mike Pence in München erste Zusicherungen etwa zum amerikanischen Nato-Engagement erhielt, wird ein Fokus des Gespräches bei wirtschaftspolitischen Themen wie Freihandel liegen. Das ist für Merkel besonders wichtig, weil sie als Gastgeberin des G20-Gipfels im Juli wissen will, in welchen Bereichen sie mit dem neuen Präsidenten überhaupt zusammenarbeiten kann - und wo man ihm notfalls Widerstand leisten muss.
Dass sie darauf vorbereitet ist, signalisiert Merkel seit Wochen. Schon ihr Glückwunsch nach der Wahl war ungewöhnlich, weil ausgerechnet die bekennende Transatlantikerin einem neuen US-Präsidenten erstmals die Bedingungen für eine gute Zusammenarbeit nannte: die gemeinsame Wertebasis. Vergangene Woche sprach sie davon, dass sich der "Charakter" der transatlantischen Beziehungen geändert habe. Und im Wochenrhythmus gibt die 62-Jährige derzeit Bekenntnisse zum Freihandel ab. Die EU müsse auf Vergeltungsmaßnahmen für Strafzölle vorbereitet sein. Der Ton ist dabei wenig konfrontativ - aber die Botschaft an Washington klar.
Besorgtes Tuschelnüber Trump
"Meine Erfahrung mit Merkel ist, dass man sie nicht ermuntern muss, einem US-Präsidenten die Meinung zu sagen, wenn sie glaubt, dass er falsch liegt", sagt auch Stephen Hadley, nationaler Sicherheitsberater des früheren US-Präsidenten George W. Bush. Tatsächlich hat Merkel etwa Trumps Vorwurf eines "äußerst katastrophalen Fehlers" in ihrer Flüchtlingspolitik längst gekontert, als sie an seinem ersten Anlauf für einen Einwanderungsstopp für sieben muslimische Staaten und Abschottungstendenzen harsche Kritik äußerte.
Eine deutliche Ansage etwa zur Verteidigung deutscher Wirtschaftsinteressen, wie sie Merkel im Vorfeld angekündigt hat, habe durchaus auch eine innenpolitische Komponente, räumt man derweil in der CDU ein. Denn Trump ist bei den Deutschen so unpopulär, dass Merkel im heraufziehenden Bundestagswahlkampf keine falsche Nähe aussenden darf.
Gerade weil sich Twitter-Präsident Trump in seinem Amt so unberechenbar verhält, hat das vertrauliche "Gezwitscher" zwischen vielen internationalen Partnern der USA stark zugenommen. Wer immer den mysteriösen Mann im Weißen Haus schon einmal gesprochen oder getroffen hat, ist derzeit gefragter Ansprechpartner für die anderen Regierungschefs. Die Regierung in Berlin ist also bei Weitem nicht die einzige, die von den Ankündigungen und Aktionen des Präsidenten verwirrt und besorgt ist.
Und auch Merkel hat sich unter anderem mit Theresa May und Kanadas Regierungschef Justin Trudeau bereits über deren Treffen mit Trump ausgetauscht. Nach Angaben von EU-Diplomaten in Brüssel wird dabei nicht immer ein schmeichelhaftes Bild vermittelt: Trump wird teilweise als erratisch beschrieben, in Gesprächen schnell abgelenkt, als schlechter Zuhörer und ein Mann, der eigentlich nur von seinen eigenen Zielen erzählen will - und der sein Wissen primär aus dem Fernsehen und nicht aus der vertieften Akten-Lektüre bezieht. Merkel hingegen hat den Ruf, eine gute Zuhörerin zu sein, die stets bemüht ist, die Komplexität von Problemen zu verstehen und sich auch mit Details zu befassen.
Berlin setzt auf Merkels Überzeugungskraft
Die Kanzlerin wirkt mit ihrem Pochen auf Freihandel und Respekt vor Medien sowie mit ihrer betont deeskalierenden Sprache wie eine Antipode zu Trump: Er hat sie direkt angegriffen, Merkel dagegen hat sich bewusst immer mit persönlichen Urteilen zu Trump zurückgehalten. Auch ihr außenpolitischer Berater Christoph Heusgen hatte gegenüber Kritikern für "strategische Geduld" mit der neuen Regierung plädiert. Merkel weiß inzwischen, wie Trump tickt. 1990 hatte dieser bereits von Strafzöllen gegen Mercedes-Autos und "Deals" gesprochen, bei denen man die Gegenseite zunächst an den Rand des Zusammenbruchs bringen müsse. Und von damals stammt sein Satz: "Jede erfolgreiche Person hat ein sehr großes Ego." "Möglicherweise wird Trump Merkel genau deshalb schätzen", sagt ein EU-Diplomat. Berlins Transatlantik-Koordinator Hardt setzt zudem auf den speziellen Charme der Kanzlerin, der auch den Dialog mit sehr schwierigen Gesprächspartnern wie Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan ermöglicht habe. "Wer die Bundeskanzlerin kennt, der weiß, dass sie im persönlichen Gespräch eine enorme positive Wirkung entfaltet", sagt der CDU-Mann. Ein wenig klingt es auch wie das Prinzip Hoffnung, wenn er hinzufügt: "Ich bin sicher, dass auch Donald Trump sich dem nicht entziehen kann."
Darüber hinaus war auch der Start mit anderen US-Präsidenten keineswegs einfach. Die politischen Liebesbekundungen zu Ende der Amtszeit Obamas, als dieser sogar Merkels Wiederwahl im September empfahl, überdecken den ruppigen Start des persönlichen Verhältnisses. Obama genoss zwar in der deutschen Bevölkerung große Sympathien. Aber die nüchterne Merkel sah ihn als selbst ernannten Heilsbringer in seiner Anfangsphase im Weißen Haus durchaus skeptisch.
Obama wiederum grollte zunächst, weil er als Präsidentschaftskandidat im US-Wahlkampf wegen des Einspruchs der Kanzlerin nicht vor der Kulisse des Brandenburger Tors auftreten durfte. Doch vor allem nach Obamas Wiederwahl entwickelte sich "eine wirkliche Wärme zwischen Merkel und Obama", erinnert sich der frühere US-Botschafter bei der EU, Anthony Gardner. Beide glaubten an Regeln und eine multilaterale Weltordnung. Bei kontroversen Sichtweisen in internationalen Angelegenheiten hätten sich beide zudem immer wieder um eine Annäherung der Positionen bemüht.
Die Beziehung zu Obamas Vorgänger George W. Bush startete zwar harmonisch, weil Merkel als Oppositionsführerin den US-Einmarsch im Irak 2003 nicht kritisiert hatte. Aber unmittelbar vor ihrer Antrittsreise nach Washington mahnte sie die Schließung des Sondergefängnisses Guantanamo an. Später widersetzte sie sich der von Bush gewollten Nato-Mitgliedschaft für die Ukraine und Georgien. Dass sie Donald Trump eines Tages wie 2006 George W. Bush zum vertraulichen Wildschwein-Barbecue nach Trinwillershagen in ihren Wahlkreis einladen könnte, daran glauben in Berlin vor dem heutigen Treffen jedoch nicht einmal die größten Optimisten.