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Beute an Proteststimmen

Von Alexander Dworzak

Politik

Die Piratenpartei fliegt bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen aus dem Landesparlament. Profiteur ist die AfD.


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Berlin/Wien. Sie seien "ganz anders als alle anderen Parteien", wo immer nur geredet, aber nicht gehandelt werde. "Jung und wild" seien sie obendrein: Die Begeisterung vieler Deutscher für die Piraten kannte im April 2012 kaum Grenzen. Fast ein Drittel der Bürger konnte sich damals vorstellen, die Partei zu wählen. Dem kometenhaften Aufstieg ist ein langer Absturz gefolgt. Bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen am Sonntag werden die Piraten nicht nur hochkant aus dem Düsseldorfer Landtag fliegen. Die Umfragewerte an Rhein und Ruhr sind so niedrig, dass Meinungsforschungsinstitute die Partei nur mehr in der Kategorie "Andere Parteien" subsumieren. Noch vor fünf Jahren erreichten die selbst ernannten Freibeuter knapp acht Prozent in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland. Nach der Wahl am Sonntag werden die Piraten in keinem deutschen Landesparlament vertreten sein, geschweige denn dem Bundestag; sie stellen lediglich noch einen Abgeordneten im EU-Parlament.

Dabei schien die 2006 gegründete Partei den Nerv der Internet-Generation getroffen zu haben: gegen das Urheberrecht, für eine liberale Netzpolitik und digitale Basisdemokratie. Letzteres versprach den Mitgliedern flache Hierarchien und Mitsprachemöglichkeiten ab dem ersten Tag anstatt der Ochsentour über verkrustete Strukturen wie bei CDU, SPD, Grünen, FDP oder Linkspartei (bis zur Gründung der AfD vergingen noch Jahre). Von September 2011 bis Mai 2012 feierten die Piraten große Erfolge bei den Landtagswahlen in Berlin, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und im Saarland. Von ein paar Hundert stieg die Mitgliederzahl auf mehr als 20.000 Personen. "Liquid Democracy" war der Trend in der Parteienlandschaft.

Jene Mischung aus direkter und indirekter Demokratie, die auf Teilhabe im Netz basiert, sollte sich als Totengräber der Piraten herausstellen. Die interne Beflegelung gehörte bald zum schlechten Ton der Partei, ebenso wie frauenfeindliche Sprüche. Einzelne Piraten kamen sich gleich in aller Öffentlichkeit via Kurznachrichtendienst in die Haare. Schädlich war auch das Dauergerangel um Einfluss. Jeder hatte etwas zu sagen, während der Parteivorstand bewusst ohnmächtig konzipiert wurde. "Man hat es nie verstanden, vernünftige Hierarchien und Verantwortlichkeiten herzustellen", sagte der Berliner Pirat Martin Delius zur "Süddeutschen Zeitung". Oder, weniger höflich, mit den Worten niedersächsischer Parteimitglieder: "Selbstdarsteller, Karrieristen und Trolle" tummeln sich in der Partei.

Geflüchtete Talente

Entsprechend lang ist die Liste politischer Talente, die den Piraten den Rücken gekehrt haben: Geschäftsführerin Marina Weisband konzentrierte sich wieder auf ihr Studium. Netzpolitikerin Anke Domscheit-Berg verließ erst die Grünen für die Piratenpartei, um heuer im Bund für die Linkspartei zu kandidieren. Zwei Parteivorsitzende sind bei der FDP gelandet, der streitlustige Christopher Lauer dockte bei der SPD an.

Als Lauer noch Pirat war, 2013, entgegnete er auf die Frage der "Wiener Zeitung" nach fehlenden wirtschaftspolitischen Konzepten, man könne mit Transparenz Verfehlungen des Finanzsystems aufzeigen. Transparenz alleine war den Wählern angesichts Euro- und Griechenlandkrise aber zu wenig. Dass die Piraten zwar Mitgliedersitzungen via Internet hochhielten, dort aber keine verbindlichen Beschlüsse möglich waren, zeigt, wie schwierig die Mehrheitsbildung ablief.

Die Wähler wurden so nachhaltig verschreckt. Da mögen nun die Piraten in Nordrhein-Westfalen auf 904 sogenannte kleine Anfragen, also mündliche Anfragen an die Landesregierung, während der vergangenen Legislaturperiode verweisen. Oder, dass sie den Untersuchungsausschuss gegen die rechtsradikale Terrororganisation NSU im Düsseldorfer Landtag initiiert haben. Die Bürger sind davon ebenso wenig beeindruckt wie von den nunmehrigen Wahlkampfthemen der Piraten: Cannabis soll legalisiert, die öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos genutzt oder das Bundesland "Heimathafen" für Whistleblower werden.

Menschenrechtsfragen egal

Für Protestwähler ist das nur mäßig spannend. Auch wenn es den Piraten selbst nicht angenehm ist, ihre früheren Wahlerfolge rührten nicht nur durch Technologieaffine. Ein guter Teil der Wählerschaft machte sein Kreuz aus Protest gegen die etablierten Parteien und hatte mit der linksliberalen Grundierung in Menschenrechtsfragen nichts gemein. Vom Erosionsprozess der Piraten profitiert dieser Tage insbesondere die Alternative für Deutschland. Diese buhlt - wie auch die Linkspartei, und diese insbesondere im Osten - um Proteststimmen. So gesehen erst am vergangenen Wochenende bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Dort stürzten die Piraten von 8,2 Prozent im Jahr 2012 um sieben Prozentpunkte ab. Die AfD schaffte aus dem Stand 5,9 Prozent, aber nicht auf Kosten der CDU (und Angela Merkels Flüchtlingspolitik), die selbst dazugewann. Zwar subsumiert die Wählerstromanalyse der ARD die Piraten nur unter "Andere Parteien", zu denen auch die Linke oder die Satiretruppe "Die Partei" zählen. Unter den "Anderen" waren die Piraten aber 2012 die mit Abstand größte Kraft. Gleich 45.000 Stimmen der "Anderen" wanderten vergangene Woche zur AfD, während die SPD nur 8000, die CDU gar nur 5000 von ihnen erhielt.

Für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im vergangenen Jahr wurde der Wert genau berechnet: 16 Prozent der Piraten-Wähler aus 2012 wechselten zur AfD. "Wir sind auch heute noch eine Protestpartei - aber Protest muss konstruktiv sein, nicht destruktiv wie bei der AfD", sagte der Berliner Piraten-Spitzenkandidat Bruno Kramm. Auch die Rechtspopulisten vertrauen auf das Internet. Bloß nutzen sie dieses weniger für internen Zwist, sondern streuen Halbwahrheiten auf diversen befreundeten Webseiten und via Facebook.