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"Bevor uns Geld ausgeht, werden uns Mitarbeiter ausgehen"

Von Karl Ettinger

Politik

Pflegeheim-Direktor kritisiert Länder bei Ausbildungen und denkt an Nachwuchs bei idealistischen Studenten.


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Wien. Die Bundesregierung will bis zum heurigen Herbst eine Pflegereform vorlegen. Mit Interesse wird erwartet, welchen Vorschlag zur Finanzierung es geben wird. Der Leiter des Hauses der Barmherzigkeit Gruppe in Wien und Niederösterreich, Christoph Gisinger, hält aber die Frage, woher künftig das Personal kommt, für dringender.

"Wiener Zeitung": Wie hat das Haus der Barmherzigkeit den Wegfall des Pflegeregresses im Vorjahr zu spüren bekommen?

Christoph Gisinger: Wir haben das eigentlich kaum gespürt, weil wir davor auch schon immer eine Vollauslastung gehabt haben.

Kein verstärkter Andrang?

Nein, was unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass wir an vielen Standorten sehr spezialisierte Ausrichtungen mit hohem medizinischen Betreuungsbedarf haben, zum Beispiel die Wachkoma-Station.

Die Bundesregierung hat bis Herbst dieses Jahres eine Pflegereform angekündigt. Was ist für Sie das dringlichste Problem?

Bevor uns das Geld ausgeht, werden uns die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgehen. Daher glaube ich, dass es neue Berufsbilder braucht. Nicht nur neue Zugänge, Stichwort Lehre, vielleicht auch neue Schultypen in Analogie zu Handelsschule und Behindertenausbildungswegen.

Reicht ein neues Berufsbild, um den Pflegeberuf zu attraktivieren?

Unter Pflege versteht man Verschiedenes. Ich spreche hier von der Langzeitpflege. Dafür gibt es viel zu wenige Ausbildungskapazitäten. Interessenten gäbe es ja, aber die Länder und die Fachhochschulen nehmen nicht ausreichend viele auf. Und die Ausgebildeten bleiben alle wahrscheinlich in den Krankenhäusern hängen. Wir machen uns im Langzeitbereich Sorgen.

Wie kann dem begegnet werden?

Eben durch neue Berufsbilder. Da gibt es jetzt eine Diskussion auch im Verband geriatrischer Krankenhäuser, das Berufsbild klinische Gerontologie vorzuschlagen, weil bisherige Bezeichnungen wie Langzeitpflege beziehungsweise Altenhilfe oder Ähnliches in der Peer-Gruppe von jungen Menschen auch nicht auf so große Begeisterung stoßen. Natürlich ist das Verständnis im Langzeitbereich der Pflege schon ein anderes als im Akutbereich. Gerontologen, die es in mehreren Staaten schon gibt, haben starke Überschneidungen mit der Tätigkeit der Pflegepersonen. Klinische Gerontologie ist keine Alterswissenschaft, die im Elfenbeinturm gemacht wird, sondern ein praktisches Berufsbild ähnlich wie klinischer Psychologe. Der ist auch anwendungsorientiert praktisch am Menschen tätig.

Von welchem Personalbedarf ist österreichweit auszugehen?

Ich würde sagen, das liegt sicherlich in der Größenordnung von ungefähr tausend Ausbildungsplätzen mehr pro Jahr.

Die Bundesländer sind selbst die größten Träger von Pflegeheimen. Die werden doch auch darauf schauen, dass sie den eigenen Bedarf abdecken können.

Ja, sie denken aber sicherlich nicht langfristig genug. Wenn es um Ausbildungen geht, muss man die Perspektive von Generationen haben. Wie so oft, denkt man vielleicht nur in Wahlperioden oder in Budgetperioden.

Bleiben die Heime also bei den angekündigten neuen Ausbildungen im Zuge der Pflegereform auf der Strecke?

Ja, sie drohen auf der Strecke zu bleiben, weil der Akutbereich die Ausgebildeten aufsaugt. Es ist, wenn man so will, einfach prestigeträchtiger, in der Peer-Gruppe zu sagen, ich arbeite auf der Intensivstation oder im Operationssaal als in einer Pflegeeinrichtung. Für die Langzeitpflege muss man sehr entschlossen auf allen Ebenen mit allen Formen - von der Lehre bis zum akademischen Abschluss - Menschen gewinnen. Man muss auch versuchen, Jugendliche, die sich zum Beispiel am Gymnasium nicht ganz wohlfühlen und eine praxisnähere Ausbildung suchen, zu interessieren. Es gibt auch viele, die Soziologie oder Politologie studieren, die später daraufkommen, dass sie nicht wissenschaftlich, sondern praktisch arbeiten wollen. Für solche Fälle gibt es im Behindertenbereich viele Möglichkeiten, Ausbildungen nachzuholen und Arbeitsplätze zu finden.

Zur Finanzierung. Wie viel Geld braucht es und was ist dabei zu beachten?

Da geht es weniger um das absolute Geldvolumen, sondern um die verschiedenen Logiken zwischen den verschiedenen Sektoren. Ein pflegebedürftiger Mensch ist mit völlig verschiedenen Systemen konfrontiert: Hausarzt und Facharzt im niedergelassenen Bereich (Krankenkasse), Akutkrankenhaus (Krankenkasse und Landesfonds), Rehab-Einrichtung (Pensionsversicherung) und Pflegebereich, der von den Ländern finanziert wird. Diese verschiedenen Finanzierungslogiken bringen alle möglichen bürokratischen Hürden mit sich.

Ist die Bürokratie dabei das einzige Problem?

Es gibt auch verschiedene Arten der Selbstbeteiligung an Kosten. Im klassischen Gesundheitsbereich gibt es eine Art Selbstbehalts-Logik: Stichwort Rezeptgebühr. Im Pflegebereich gibt es den Einkommensregress, der Vermögensregress wurde abgeschafft. Einkommensregress bedeutet, dass nur das, was man sich nicht leisten kann, aus der Sozialhilfe zugeschossen wird. Diese unterschiedlichen organisatorischen Sektoren und Selbstbeteiligungs-Logiken führen zu Fehlanreizen und damit letztlich dazu, dass eine betreuungsbedürftige Person oft an der falschen Stelle landet. Die niedrigstschwellige Versorgung im Akutfall ist das Spital - man kann einfach die Rettung anrufen oder in die Notaufnahme fahren. Das ist aber zugleich das teuerste System. Hingegen ist die sinnvollere (teil)stationäre Pflege oder das mobile Angebot ziemlich bürokratisch organisiert.

Was wäre im Zuge einer Reform am einfachsten und sinnvollsten?

Für die Steuerung im System braucht man Profis. Am besten wäre es, auf dem bestehenden System der Hausärzte aufzusetzen. Leider wurde dieses Hausarztsystem zuletzt ausgehungert. Aber Hausärzte sind die Träger der flächenmäßig wirksamsten geriatrischen Versorgung. Für deren Ausbildung muss es aber geriatrische Fachärzte und entsprechende Institutionen geben.

Zum Geld: Sind Sie für eine steuerfinanzierte Lösung oder eine Pflegeversicherung ähnlich wie jener in Deutschland?

Da bin ich offen. Letztlich muss es die Allgemeinheit zahlen. Wichtig ist, dass es eine einfache Lösung ist und dass die weitere Sektorierung verhindert wird.