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Bewaffnete Gewalt als Basis der Außenpolitik

Von Wendelin Ettmayer

Gastkommentare
Wendelin Ettmayer war unter anderem Nationalratsabgeordneter der ÖVP, österreichischer Botschafter in Finnland und Estland, Kanada und Jamaika sowie beim Europarat. Er ist Autor der Publikation "Europa/Russland/USA und die Krise in der Ukraine", herausgegeben von der Diplomatischen Akademie Wien (www.wendelinettmayer.at).
© privat

Die Ursachen des Krieges in der Ukraine reichen weit zurück - seine Auswirkungen werden noch lange zu spüren sein.


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Der Krieg in der Ukraine ist eine furchtbare Katastrophe für die Bevölkerung. Tausende werden getötet, Millionen sind auf der Flucht, Städte werden in einem Ausmaß zerstört, das man sich in der heutigen Zeit kaum noch vorstellen konnte. Der Krieg ist aber auch für Russland, das ihn als Aggressor vom Zaun gebrochen hat, eine schwere Prüfung. Laut westlichen Geheimdiensten wurden bereits in den ersten vier Wochen der Kampfhandlungen 15.000 meist junge russische Soldaten getötet. Man wird jedenfalls erst später sehen, wie sich dieser Krieg auf die weitere innere Entwicklung Russlands auswirken wird.

Auch für Europa bringt der Ukraine-Krieg Schwierigkeiten mit sich, die noch kaum abzusehen sind: Die zu erwartenden höheren Energiepreise können den erreichten Wohlstand drastisch verringern; die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft wird beeinträchtigt. Die gegen Russland verhängten Sanktionen treffen ganz Europa in einem erheblichen Ausmaß. Die USA hingegen sind bisher die größten Gewinner des Konflikts. Ziele, die jahrelang verfolgt wurden, sind nun erreicht: Europa wurde re-militarisiert; der Artikel 5 des Nato-Paktes, wonach "alle für einen" eintreten, wurde zum "Artikel F-35" - alle kaufe jetzt Waffen von einem, nämlich von den USA, auch F-35-Kampfflugzeuge. Europas Wirtschaft soll von russischen Energielieferungen abgeschnitten werden.

Die Ursachen für den Krieg reichen Jahrzehnte zurück. Die neue internationale Ordnung wurde nach dem Kalten Krieg gegen Russland errichtet. Schon in den 1990ern wurde mit der Nato-Osterweiterung begonnen, was vom Kreml von Beginn an als aggressiver Akt verstanden wurde. Anstatt Russland in die neue Sicherheitsarchitektur einzubinden, wurde diese von Beginn an gegen Russland aufgebaut.

Dabei kann man sagen, dass die US-Politik in Europa seit dem Ende des Kalten Krieges durchaus erfolgreich war. Immerhin wurde der Einflussbereich der USA um 150 Millionen Quadratkilometer, auf denen 150 Millionen Menschen leben, ausgedehnt. Hatte der Kalte Krieg durchaus defensiven Charakter, was auch in einer defensiven Haltung der Nato zum Ausdruck kam, so gingen die USA nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion offensiv vor. Wie wir von Victoria Nuland, die von September 2013 bis Jänner 2017 im US-Außenministerium für Europa und Eurasien zuständig war, wissen, haben die USA alleine in der Ukraine viele Milliarden Dollar ausgegeben, um die dortige Politik zu beeinflussen.

Die Diabolisierung Putins

Sehr bald nach seiner Wahl zum Präsidenten Russlands hat man auch mit der der Diabolisierung Wladimir Putins begonnen. Das klare Ziel dabei war es, die westliche Öffentlichkeit im Kampf gegen Russland zu motivieren und zu mobilisieren. Die Re-Militarisierung Europas wurde ein wesentliches Ziel der US-Außenpolitik. In den Beziehungen der europäischen Staaten untereinander fand nach dem Zweiten Weltkrieg eine Revolution statt, die auf den Europarat zurückging und zunächst die Länder Westeuropas umfasste. War Außenpolitik bis dahin traditionell Machtpolitik gewesen, so diente sie nunmehr der Förderung der Wohlfahrt der Bürger.

In den USA hat dieses Umdenken nie stattgefunden. Sie haben die Abkehr von der bewaffneten Gewalt als Basis der Außenpolitik nie anerkannt. Für sie galt und gilt der Grundsatz: "Foreign Policy without the backing of the Military is like a base-ball game without a base-ball bat." Der Beschluss der Nato, dass 2 Prozent des BIP für Rüstung ausgegeben werden müssen, wurde ein Grundprinzip der transatlantischen Beziehungen.

Worum geht es nun im Ukraine-Krieg? Am 24. Februar 2022 sind massive russische Militärverbände in die Ukraine einmarschiert. Als Grund wurde von russischer Seite angegeben, dass die Ausweitung der Nato, verbunden mit der massiven Aufrüstung der Ukraine in den vergangenen Jahren, ein Sicherheitsrisiko für das eigene Land geworden sei. Es gehe auch darum, die seit acht Jahren andauernden Kämpfe im Donbass ein für alle Mal einzustellen. Um den Einmarsch in der Ukraine zu rechtfertigen, legte Präsident Wladimir Putin außerdem in einem längeren Geschichtsdiskurs dar, dass die Ukraine ohnehin zu Russland gehöre. Von westlicher Seite wurde und wird der Krieg in der Ukraine scharf verurteilt und meist damit erklärt, dass der russische Präsident entweder ein Verbrecher oder geisteskrank sei.

Wir leben in einer geteilten Welt

Tatsächlich kann man sagen, dass wir heute in einer geteilten Welt leben. Etwa ein Zehntel der rund 200 Staaten setzen ihr Militär regelmäßig zur Unterstützung der eigenen Außenpolitik ein. Nun stellte schon Hillary Clinton als US-Außenministerin fest: "Die Zeit der Einflusssphären ist vorbei." Allerdings unterhalten die USA etwa 800 Militärbasen auf der ganzen Welt, sind aber nicht gewillt, Einflusssphären anderer Länder anzuerkennen. Die in diesem Sinne verfolgte US-Politik der Nato-Ausweitung bis an die Grenzen Russlands sowie die jahrzehntelange Demütigung dieses Landes haben jedenfalls wesentlich zu der Katastrophe beigetragen, die wir jetzt vorfinden.

Wozu dienen die Sanktionen? Sanktionen können sehr hart sein. In den 1990ern veröffentlichte die UNO eine Studie, wonach im Irak 500.000 Kinder an den Folgen der US-Sanktionen gestorben sind. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire erklärte im Zusammenhang mit den nun verhängten Sanktionen Russland "einen totalen Wirtschafts- und Finanzkrieg". Aber was hilft es den armen Menschen in der Ukraine, wenn Russland leidet?

In den USA wird schon seit Jahren gefordert, Deutschland müsse seine Energieimporte aus Russland stark reduzieren. Insbesondere die Pipeline Nord Stream 2 war vielen ein Dorn im Auge. Damit entsteht der Eindruck, der Ukraine-Krieg diene als Vorwand dafür, langjährige US-Geschäftsinteressen endlich durchzusetzen. Schon jetzt wird betont, auch wir müssten Opfer bringen für "unsere Werte", die in der Ukraine verteidigt würden. Allerdings hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi vor dem Krieg in seinem Land die größten Oppositionsparteien verboten; kritische Fernsehstationen waren geschlossen worden; und die Ukraine gehört zu den korrupteren Ländern. Sind das "unsere Werte"? Im Krieg in der Ukraine geht es eben nicht um demokratische Werte, sondern um machtpolitische und wirtschaftliche Interessen.

Der Krieg in der Ukraine ist ein furchtbares Beispiel dafür, wie man eine Krise im 21. Jahrhundert nicht bewältigen kann: In Westeuropa ist es nach dem Zweiten Weltkrieg gelungen, Erbfeindschaften zu überwinden, um eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Man hat einer "Logik des Krieges" abgeschworen, um gemeinsam die eigene Wohlfahrt zu fördern. Es wäre wichtig, von der Richtigkeit dieses Modells heute auch all jene zu überzeugen, die immer noch glauben, mit Kriegen könne man Probleme lösen.