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Bewegte Seelen

Von Sonja Fercher

Politik
Tänze wie Breakdance sind für Kinder eine Möglichkeit, selbstbewusst aufzutreten.
© supersoulme

Wenn die Breakdance-Stunde zum integrativen Tanzkurs wird.


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Wien. Vor dem Jugendzentrum in der Aichholzgasse im 12. Bezirk steht schon ein ganzer Pulk von Kindern und wartet darauf, dass sich die Türen öffnen. Um sich die Zeit zu vertreiben, spielen sie Klatschspiele oder machen andere Späße. "Das ist kein Spielplatz", schimpft eine vorbeigehende Seniorin, die erst ihren Weg durch die wurlende Kindergruppe finden muss. Auch andere Passanten zeigen sich wenig amüsiert über den Auflauf, der da stattfindet. Die Kinder aber lassen sich nicht beirren, und als die Türen etwas verspätet aufgehen, stürmen alle in den Raum im ersten Stock, in dem ab 10 Uhr die Schnupperstunde zum Breakdance-Kurs der Tanzschule Supersoulme stattfindet, der Anfang Oktober startet.

Trainer Branislav Basista, genannt Branu, ist aus Bratislava angereist. Er spricht nur wenig Deutsch, seinen Kurs hält er großteils auf Englisch. Betreuerin Christina Medosch übersetzt, wenn es nötig ist. Aber bei einem Kurs wie diesem ist es das ohnehin selten, denn Branu tanzt vor, die Kinder müssen ihn nur nachahmen. Dass sie ganz nebenbei auch motiviert werden, Englisch zu lernen, sei ein "netter Side-Effekt", erklärt Medosch.

Der Raum ist ein Turnsaal, in dem auch eine Bühne steht. Die Kinder wuseln in allen möglichen Ecken herum oder verstecken sich hinter den schwarzen Vorhängen. Die Schüchternen warten erst einmal ab. Nachdem Trainer Branu die Musik zum Laufen gebracht hat, geht es auch schon los mit den Aufwärmübungen. Es ist eine bunte Truppe, die Jüngsten sind vier Jahre alt, die Ältesten zwölf. Heute ist auch eine Gruppe von Kindern aus dem nahe gelegenen "Freunde Schützen Haus", einer Unterkunft für Asylwerber, mit einer Betreuerin und zwei Müttern mit von der Partie. "Es wäre schön, wenn sie regelmäßig an etwas teilnehmen können", meint die Betreuerin. Deshalb hat sie die Gruppe mitgenommen und deshalb sind auch Knirpse mit dabei. Denn sonst richtet sich der Kurs an Kinder ab sechs Jahren.

Zwei Mädchen tragen Kopftuch und lange Kleider, die sie bei den Aufwärmübungen aber nicht behindern. Im Gegenteil, sie machen ebenso begeistert mit wie alle anderen. Es dauert nicht lange, bis alle außer Atem sind. Da beginnt die große Stunde von Ramzan: Wie ein Wirbelwind tanzt er durch den Raum, macht Handstand und imitiert begeistert die Breakdance-Übungen von Trainer Branu. "Das macht er auch zu Hause", sagt eine der beiden Mütter vom "Freunde Schützen Haus" und in ihren Worten schwingen zugleich Besorgnis und Bewunderung mit. Seine Handstand-Künste reizen auch die anderen Kinder, und schon strecken mehrere von ihnen mit Unterstützung der beiden Betreuerinnen ihre Füße in die Höhe - mit roten, aber stolzen und glücklichen Gesichtern.

Ramzan ist bei weitem nicht der einzige Star in der Gruppe: "Schau mal, was ich kann", meint Martha. Sie begibt sich in die Liegestütz-Position, stützt sich am Gesicht ab und hebt die Beine kurz in die Höhe. Ganz rot im Gesicht aber sichtlich stolz steht sie wieder auf. "Breakdance ist super", sagt das Mädchen begeistert, ergänzt fast ein bisschen traurig: "Aber es ist schwer."

Zielgruppe sind nicht explizit Migranten

Auch der zehnjährigen Isabella macht das Tanzen sichtlich Spaß. "Sie war schon am Montag bei einem Workshop", erzählt ihre Mutter. Von den Kursen hat sie in der Bezirkszeitung erfahren und Betreuerin Medosch ist begeistert von ihrem tänzerischen Talent. Isabella will in jedem Fall am Kurs teilnehmen. "Wer tanzt mit mir?", fragt ein Mädchen, sieht sich um und greift dann Isabella an der Hand, gefolgt von Martha gehen sie auf die Bühne und tanzen.

In einer anderen Ecke des Raumes spielt sich eine andere Szene ab, die von einem Ziel erzählt, das Supersoulme verfolgt: Kinder zusammenzubringen. Ein Bursche ist sichtlich fasziniert von Ramzans Akrobatikkünsten, aber auch irritiert von dessen Sehbehinderung. Es dauert eine ganze Weile, doch dann fasst sich der Bub ein Herz und spricht Ramzan, begleitet von zwei Freunden, darauf an. Ramzan antwortet auf die Frage lakonisch: "Das hab ich seit meiner Geburt." Es gibt noch eine kleine Diskussion und dann tanzen alle wieder munter weiter.

"Ich bin immer sehr überrascht, wie einfach es geht, dass Jugendliche aufeinander zugehen. Und dann auch einmal ältere die jüngeren fragen, wie er diesen oder jenen Move macht", meint Medosch. "Manchmal dauert es natürlich ein bisschen, bis der Mut gefasst ist." Die Zielgruppe des Kurses sind nicht explizit Migranten, vielmehr richtet sich das Angebot "an sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche". Dass es in dieser Gruppe viele Migranten gibt, liegt aber auf der Hand. "Hier im 12. Bezirk sind es auch oft einfach Kinder aus der Umgebung", erzählt Christina Medosch.

"Das ist eine super Gruppe", meint Trainer Branu in der Pause. Völlig konfliktlos geht so etwas natürlich nicht vonstatten. Vor allem zwei Burschen und ein Mädchen bekommen sich immer wieder in die Haare. Es scheint ein längerer Konflikt zu sein und die Betreuerinnen geben sich alle Mühe, die drei immer wieder auseinander zu klauben. Vor allem einer der drei wirkt nicht nur ausgesprochen aggressiv, seine Körperhaltung zeigt deutlich, wie wenig er von dem Kurs hält. "Wir haben immer wieder mit so Typen zu tun", meint Betreuerin Christina Medosch. "Aber wie eine Kollegin von mir immer sagt: Die sich am meisten wehren, blühen am Schluss auf."

"Es gibt hier kein richtig oder falsch"

Der Tanz soll Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen stärken: "Da gibt es kein richtig oder falsch", erklärt Medosch. "Jede Bewegung hat seine Berechtigung. Es geht auch um das, was unterschwellig passiert, und da tut sich sowohl physisch als auch psychisch eine Menge: Da gibt es einen Rhythmus, sie bewegen sich in einer Gruppe. Sie lernen, ihren Körper wahrzunehmen: Wo fange ich an und wo höre ich auf? Was halte ich aus?"

Neben der Körperhaltung der Jugendlichen, von denen viele sonst hauptsächlich sitzen würden, werde auch das Selbstbewusstsein der Kinder gestärkt: "Alles, das man beim Tanzen macht, führt schlussendlich zu einem selbstbewussteren Auftreten im Leben", so die Betreuerin bei Supersoulme.