Trotz Rekordarbeitslosigkeit leidet der österreichische Arbeitsmarkt unter Fachkräftemangel. Woran liegt das?
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Es gibt gute Nachrichten: Die Arbeitslosenzahlen sinken. 393.500 Personen sind derzeit beim Arbeitsmarktservice (AMS) gemeldet, 75.000 befinden sich in Schulungen. Damit gibt es im Vergleich zur Vorwoche um 12.200 weniger Arbeitslose. Erstmals seit November 2020 liegt die Zahl unter 400.000. Weiters gibt es rund 480.000 Voranmeldungen zur Kurzarbeit, diese Zahlen bleiben konstant.
"Doch der Arbeitsmarkt ist derzeit zweigeteilt", sagt Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) am Dienstag bei einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt. Auf der einen Seite die geschlossenen Branchen wie Gastronomie und Hotellerie, auf der anderen Seite die - offenen - Branchen der Industrie, die teilweise sogar florieren. Eine Erholung erwartet der Arbeitsminister, wenn es nicht erneut zu einem Lockdown kommt.
Neben einem vorsichtigen Trend in Richtung Licht am Ende des Tunnels gibt es aber auch schlechte Nachrichten. Österreich hat ein großes Problem am Arbeitsmarkt, das durch die Corona-Krise nun deutlich sichtbar wird: Trotz Rekordarbeitslosigkeit gibt es einen hohen Fachkräftemangel. Woran liegt das?
Einen Fachkräftemangel gibt es dann, wenn das Verhältnis der arbeitslosen Fachkraft zur freien Stelle je Beruf 1,5 oder niedriger ist, so die Vereinbarung der Sozialpartner. Im Februar waren davon 56 Berufe betroffen. Darunter Dachdecker, Augenoptiker, diplomierte Krankenpfleger oder Diplomingenieure für Datenverarbeitung.
Für die Direktorin von EcoAustria, Monika Köppl-Turyna, gibt es drei Gründe für diese Entwicklung: Geringe Mobilität, schlechte Ausbildung, viele gutausgebildete Mütter, die daheim bleiben oder Teilzeit arbeiten.
"Viele Österreicher ziehen nur sehr ungern weg aus ihrem Bezirk", sagt die Ökonomin. "Ganz zu Schweigen von einem Wohnortwechsel in ein anderes Bundesland." Die zunehmende Digitalisierung und der Ausbau der neuen Mobilfunkgeneration 5G könnten die negativen Auswirkungen dämpfen.
"Viele Österreicher ziehen ungern weg aus ihrem Bezirk"
Weiters sind viele Arbeitslose nicht die Personen, die zu den ausgeschriebenen Stellen passen. Das liege vor allem an ihrer Niedrigqualifizierung. "40 Prozent der Arbeitslosen haben gerade einmal einen Pflichtschulabschluss", sagt Köppl-Turyna. "Nur fünf Prozent haben einen Hochschulabschluss." Wichtig wäre daher ein Schwerpunkt im Bildungsbereich. Stärkere Förderung dualer Ausbildung und digitaler Fähigkeiten. Die Ökonomin schlägt - wie AMS-Chef Johannes Kopf - eine Lehre für Erwachsene vor und nimmt Betriebe in die Pflicht. Diese sollen verstärkt auf Weiterbildung setzen.
Ein dritter Grund für den Fachkräftemangel betrifft das heimische Familienleben. 73,6 Prozent der Frauen mit Kindern unter 15 Jahren arbeiten in Teilzeit, bei Männern sind es nur 5,8 Prozent. Bei 17,5 Prozent der Familien ist sogar nur der Mann erwerbstätig. "Darunter sind viele gut ausgebildete Frauen, die daheim sind oder in Teilzeit arbeiten", sagt Köppl-Turyna. Sie fordert daher einen massiven Ausbau von Kinderbetreuung.
Ausbildungen für Arbeitslose
Die Regierung pumpte zuletzt 700 Millionen Euro in die sogenannte Corona-Joboffensive. Schwerpunkt: Aus- und Weiterbildungen für über 100.000 Arbeitslose.
Die AMS-Stellen in den Bundesländern erhoben dafür den regionalen Arbeitskräftebedarf bei Unternehmen. Für 49.000 Arbeitslose sind Qualifizierungen im Bereich Handel, Gastronomie, Büro und fachspezifische Sprachausbildungen vorgesehen. 17.400 Personen sollen eine Ausbildung im Bereich Elektronik-Digitale Technologie erhalten. Zudem gibt es eine Unternehmens-Gründungsgruppe und Qualifizierungen für Metallberufe, Pflege-, Sozial- und Betreuungsberufe. Im Bereich Umwelt, Holz sowie Land- und Forstwirtschaft soll es auch eine Ausbildung geben.
Die Corona-Krise beschleunigte digitale Entwicklungen und vergrößerte den Abstand zwischen Menschen im Erwerbsleben und Menschen ohne Job. Wer im vergangenen Jahr arbeitslos war, wird womöglich mit Begriffen wie Zoom und Teams weniger anfangen können.
"Digitale Kompetenzen sind schnell erlernbar, wenn man sich in der Arbeitswelt befindet", sagt Julia Bock-Schappelwein, Volkswirtin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo). "Wer sich außerhalb der Arbeitswelt befindet, tut sich schwerer." Menschen, die keinen Job haben, laufen somit Gefahr, abgehängt zu werden. Bock-Schappelwein kann sich vorstellen, dass Unternehmen vermehrt Menschen einstellen, die nicht die angeforderten Fähigkeiten mitbringen.
Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) kann diesem Gedanken einiges abgewinnen: Am Dienstag kündigte die Ministerin eine digitale Qualifizierungsoffensive mit 7,6 Millionen Euro an. Mit der Förderung sollen Unternehmen ihre Beschäftigten weiterbilden. "Corona hat die Notwendigkeit der Digitalisierung und Qualifizierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch deutlicher sichtbar gemacht", sagt Schramböck.
Ein erster Schritt, dem viele folgen müssen, damit der Fachkräftemangel behoben wird.