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Bewusst gewählte oder absichtlich verfehlte Strategien zur Krisenbewältigung?

Von Aurelia Pertl (Bürgerjournalistin)

Gastkommentare

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Ein Dogma, das seit der Krise sehr verbreitet scheint und als das Mittel zur Bewältigung der hohen Arbeitslosigkeit propagiert wird, ist die Senkung der Gehälter und der Mindestlöhne. Diese Bedingung soll realisiert werden, um für die Wirtschaft die notwendigen Anreize zu schaffen und so die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Welche Annahmen verbergen sich hinter solch einem Dogma?

Ist dieses Dogma wissenschaftlich fundiert oder basiert es auf einem Glauben? Warum sollte man die Gehälter der Arbeitnehmer kürzen und nicht die Gewinne der Unternehmer durch höhere Besteuerung? Mit welchem selbstverständlichen Recht wird die ganze Last dem Arbeitnehmer aufgebürdet unter dem Vorwand, dass dies der einzige Weg sei, der aus der Krise führt.

Laut einer Studie (The Conference Board) haben sich die Gehälter in den Krisenländern wie Spanien, Irland, Griechenland und Portugal negativ entwickelt, da diese seit 2009 um 15% gesunken sind. Der belgische Ökonom Ronald Jansen stellte fest, dass die Reduzierung der Gehälter zu einer Gewinnsteigerung der Unternehmen geführt hat, diese jedoch nicht mit höheren Investitionen oder Exportsteigerungen einherging.

Es hat in Europa den Anschein eines geführten Wettbewerbes um Gehaltskürzungen. In Deutschland hatte die Gehaltskürzung den negativen Effekt, dass die Nachfrage im eigenen Land zurückging und sich der  Druck hinsichtlich dessen Exporte auf periphere, wirtschaftlich schwache Länder stark erhöht hat. Die internationale Organisation für Arbeit weist darauf hin, dass die Senkung der Gehälter negative  Auswirkungen hat und dies zu einer weltweiten Depression beitragen wird.

Die großen Unternehmen haben längst ihre Produktionsstätten in Billiglohnländer verlagert, in denen nicht nur die Arbeitskraft sehr billig ist, sondern zugleich die Nachfrage von Produkten sehr hoch ist. Dies betrifft nicht nur Europa, sondern auch die USA, d.h. die europäischen und die US-Bürger sind weder als Arbeitskräfte noch als Konsumenten wirklich bedeutsam.

Sollten wir dennoch den längst verlorenen Kampf mit den Arbeitnehmern der aufstrebenden Länder aufnehmen oder sollten wir Miguel de Cervantes' Buch "Don Quijote de la Mancha" ernst nehmen, weil es einem Kampf gegen Windmühlen gleichkäme? Ergibt sich aus diesem Zusammenhang eine Erklärung, warum die Gehälter reduziert und Arbeitsschutzregelungen in Europa aufzuheben sind? Spaniens neue Arbeitsmarktreform, mit der die Gewerkschaften ausgeschaltet wurden, hat bereits eine verblüffende Ähnlichkeit mit den asiatischen Arbeitsgesetzen.

Sollte man eher jenen Ökonomen glauben, die das gesamte Modell des Kapitalismus in Frage stellen, weil dieses als permanentes Wachstumsmodell nicht nachhaltig ist? Könnten solidarisch geführte Wirtschaftsmodelle, die die regionalen Besonderheiten der einzelnen europäischen Länder stärker berücksichtigen und bedürfnisorientiert ausgerichtet sind, in denen es keinen Zwang zu konsumieren gibt, eine Alternative sein?

Welchen Eindruck bekommen die spanischen Bürger, wenn die Vertreter der Unternehmerorganisation öffentlich die arbeitslosen Personen, die täglich befürchten müssen, dass ihnen die Existenzgrundlage entzogen werden könnte, zur Reinigung der verbrannten Wälder aufrufen? Oder wenn ein Vertreter der Bankenorganisation darauf hinwies, dass die Löhne in den nächsten fünf bis zehn Jahren um 20% gekürzt werden müssen, um das Land aus der Krise zu führen?

Sind nicht spanische Banken mit öffentlichen Geldern gestützt worden mit der gesetzlichen Auflage, dass keine Boni an die Manager bezahlt werden dürfen? Boni wurden bezahlt, es ist aber nicht bekannt, dass sich deswegen jemand vor Gericht verantworten musste. Liegt ein fehlendes Verständnis der Unternehmervertreter für die wahren Zusammenhänge vor, oder haben sie bereits den Bezug zur Realität verloren?

Nach dieser zynischen Logik wäre der nächste Schritt, dass nach erledigter schwerer Waldarbeit die Villen der Bankiers und Unternehmer noch gratis zu reinigen sind, um sich vielleicht für einen befristeten Arbeitsplatz mit einer Entlohnung etwas über dem Arbeitslosengeld zu qualifizieren. Zynische Ultima Ratio: Nur wer freiwillig und ohne Entgelt "echte" Arbeitswilligkeit zeigt, hat ein Anrecht auf einen "echten" Arbeitsplatz auf Zeit.

Wenn man den schuldlos arbeitslos gewordenen Bürgern ein adäquates Gehalt mit sozialer Absicherung anbieten würde, gäbe es sicher ausreichend Nachfrage, die Wälder zu reinigen. Wenn fürs Arbeitslosengeld gearbeitet werden muss, motiviert das Unternehmen zu weiteren Entlassungen, da ja Arbeitslose die Arbeiten billiger verrichten, und in letzter Konsequenz zu weiteren Lohnsenkungen. Haben wir uns in unserem Glauben geirrt, dass Sklaverei und Zwangsarbeit der Vergangenheit angehören?