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Beziehungsstatus: kompliziert

Von Martin Tschiderer

Politik

Justiz und Politik sind aufeinander angewiesen - und ringen um Einfluss. Auch deshalb kann es für Regierende nützlich sein, die finanziellen Ressourcen der Justiz zu beschneiden.


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Die Justiz und die Politik. Das war schon immer ein Verhältnis mit engen Verzahnungen, wechselseitigen Abhängigkeiten - und intensiven Konflikten. Die vergangenen Monate haben Auseinandersetzungen zwischen den beiden Feldern aber in bis dato ungeahnter Schlagzahl befördert. Da wären die diversen Ermittlungsstränge der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen hochrangige Politiker und Umfeld der ÖVP - inklusive Hausdurchsuchung bei Finanzminister Gernot Blümel und Ermittlungen gegen Kanzler Sebastian Kurz. Da wären die öffentlichen Scharmützel zwischen der Behörde und der Volkspartei inklusive unverhohlener türkiser Attacken gegen die Korruptionsjäger.

Und da wäre die aufgeheizte Debatte um die jüngste Weisung des Justizministeriums unter seiner grünen Ressortchefin Alma Zadic: Demnach wird der Kanzler im Zuge der Ermittlungen gegen ihn wegen mutmaßlicher Falschaussage im U-Ausschuss von einem Richter befragt - und nicht von der WKStA. Zadic ließ darauf Anfang der Woche mit der Forderung nach einem "Ende der ständigen Politisierung der Debatte, aber auch der Staatsanwaltschaft" aufhorchen.

Auch bei den Höchstgerichten rückten Abhängigkeiten wie Konfliktlinien zwischen Justiz und Politik über die vergangenen Jahre verstärkt in den Fokus. Als der Verfassungsgerichtshof (VfGH) 2016 den zweiten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl wegen defekter Wahlkartenkuverts wiederholen ließ, tobte schnell eine Debatte über den Einfluss der Verfassungshüter auf politische Entscheidungen. Und in den vergangenen vier Jahren wurden mit der Ehe für alle und der Sterbehilfe gleich zwei so lange diskutierte wie polarisierende Fragen nicht etwa von der Politik entschieden - sondern von den Höchstrichtern.

"Vorrang" der Politik vor dem Recht?

"Die Politik hält die Justiz manchmal für einen angenehmen Ausweg, um Entscheidungen nicht selbst treffen zu müssen", sagt Stefan Hammer, Professor für Rechtsphilosophie und öffentliches Recht an der Uni Wien, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Das gilt besonders für Entscheidungen, die die eigene Wählerschaft vielleicht nicht goutiert." So stieß sowohl die Ehe für alle als auch die Beihilfe zum Suizid, die der VfGH mit seinen Erkenntnissen jeweils erlaubte, unter den Anhängern der Kanzlerpartei eher auf Ablehnung. Weil Türkis es sich mit dieser Wählerklientel "nicht verscherzen wollte, wurden menschenrechtlich für notwendig gehaltene Reformen erst auf dem Wege der Justiz durchgesetzt", sagt der Jurist.

Auf der anderen Seite sei die Justiz aber auch immer wieder ein Hemmschuh für die Politik, wenn sie eine Linie durchsetzen will, von der sie glaubt, dass die Wählerschaft sie mehrheitlich goutiert. "Das betrifft vor allem das Fremdenrecht, aber auch das staatliche Verhältnis zum Islam, Stichwort Kopftuchverbot in den Schulen", sagt Hammer. Hier habe die Politik sehr offensiv agiert, die VfGH-Richter stiegen aber wegen grund- und menschenrechtlicher Bestimmungen auf die Bremse. Regierende postulierten dann gerne einen "Vorrang" der Politik vor dem Recht. Ähnliches konnte man rund um die Corona-Maßnahmen beobachten, wo der Kanzler etwa rechtliche Kritik an der Umsetzung der Maßnahmen als "juristische Spitzfindigkeiten" bezeichnete.

"Entscheidungsunfähigkeit" der Regierenden

Die Tendenz, politische Entscheidungen an den VfGH "auszulagern", habe über die Jahre und Jahrzehnte jedenfalls zugenommen, sagt der Rechtsphilosoph. Einen wichtigen Grund dafür sieht er im ethischen und weltanschaulichen Pluralismus, der in den vergangenen Jahrzehnten stark gewachsen ist. Vereinfacht gesagt: Während es etwa in den 1950er und 60er Jahren noch relativ homogene politische Lager gab, die sich um die beiden großen Volksparteien ÖVP und SPÖ scharten und sich von Rotem Kreuz und Samariterbund bis zu Alpenverein und Naturfreunden in den Organisationen der jeweiligen "Reichshälfte" sammelten, ist die weltanschauliche Landschaft heute fragmentiert geworden.

Und mit der schrittweisen Erweiterung der Parteienlandschaft sind auch die politischen Mehrheiten von den klaren Kräfteverhältnissen vergangener Zeiten weit entfernt. So war die rein politische Durchsetzung der damals so umstrittenen Fristenlösung nur in den Jahren der SPÖ-Alleinregierung unter Bruno Kreisky möglich. In einer Koalition mit ÖVP oder FPÖ wäre es zu diesem Beschluss nicht gekommen.

"Heute haben wir immer mehr Fälle von Entscheidungsunfähigkeit der Politik", sagt die ehemalige Justizministerin (SPÖ) und frühere EuGH-Richterin Maria Berger im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Bundesregierungen seien in den vergangenen Jahren zunehmend instabiler, die Mehrheiten knapper geworden. "Das schränkt die Möglichkeiten natürlich ein", sagt Berger. Auch an den diversen Klimaklagen zeige sich, dass politische Entscheidungen heute mehr als früher an die Justiz ausgelagert würden. So seien etwa die Dieselverbote in vielen deutschen Städten großteils über den Umweg der Verwaltungsgerichte gekommen.

ÖVP-Missmut über Verfassungsrichter

Aktuell spielt der Einfluss des VfGH auf die Politik vor allem beim Ibiza-Untersuchungsausschuss eine gewichtige Rolle. Im Streit um die Herausgabe von Akten durch Finanzminister Blümel an den U-Ausschuss etwa, wandte sich die Opposition aus SPÖ, Neos und FPÖ an den VfGH. Dieser gab dem Verlangen statt und forderte den Minister zur Lieferung auf. Als Blümel dem nicht nachkam, beantragte die Opposition die Exekution der Entscheidung beim VfGH, der schließlich Bundespräsident Alexander Van der Bellen damit beauftragte. Blümel lieferte schließlich. Und abermals sorgte eine Entscheidung der Höchstrichter für Missmut bei der ÖVP.

Grundsätzlich erfolgte im Bezug auf den VfGH eine interessante politische Diskursverschiebung: In den 1990er-Jahren standen vor allem SPÖ, Grüne und Gewerkschaften dem VfGH eher skeptisch gegenüber - und beklagten mitunter eine "konservative Linie" des Höchstgerichts. Heute ist es vor allem die ÖVP, die mit dessen Erkenntnissen immer wieder unzufrieden ist.

Einfluss auf die richterliche Praxis

Und dann gibt es da noch die Auseinandersetzungen zwischen der ÖVP und der WKStA inklusive türkiser Angriffe auf die Korruptionsjäger. "Natürlich versuchen politische Funktionsträger, die involviert sind, der Verfolgung durch die Justiz etwas entgegenzusetzen", sagt Hammer. "Sie versuchen, die Justiz ein wenig unter ihre Kontrolle zu bringen, wenn es für sie unangenehm wird."

Auch die fehlenden Mittel der Justiz in vielen Bereichen seien teils in diesem Zusammenhang zu sehen, sagt der Jurist: "Es gibt die Tendenz, über die Ressourcenausstattung der Justiz zumindest indirekt Einfluss auf die richterliche Praxis zu nehmen." Bereichen, in denen politisch nicht erwünschte Tendenzen vorherrschten, würden eher Mittel entzogen. Andere Bereiche würden gezielt gestärkt. So seien etwa die Ressourcen im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stark aufgestockt worden - ganz im Gegensatz zu jenen beim Bundesverwaltungsgericht. "Dahinter steht ein politisches Programm", sagt Hammer. Gerade wegen dieses Einflusses werde diskutiert, wie weit man die Justizverwaltung aus dem Einflussbereich des Justizministeriums herauslösen könne.

Dass die Konflikte zwischen Politik und Justiz nicht nur am Image ersterer, sondern auch an jenem letzterer nicht völlig spurlos vorbeigehen, zeigt übrigens der am Freitag veröffentlichte APA/OGM-Vertrauensindex. Zwar genießt der VfGH unter allen Institutionen neben der Polizei das größte Vertrauen. Gerade das Hickhack um den U-Ausschuss habe aber "das Vertrauen in die Justiz etwas beschädigt", bilanzierte OGM-Chef Wolfgang Bachmayer.