Herrscher hält absolute Monarchie für "nicht zeitgemäß". | NeuDelhi. Für Bhutan ist es eine Premiere. Am 31. Dezember dürfen die Einwohner des abgelegenen Himalaya-Staates zwischen Indien und China erstmals wählen. Genau 312.817 Untertanen sind an die Wahlurnen gerufen, wie der Chef der Wahlkommission, Dasho Kunzang Wangdi, bekannt gab.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Damit ist das Land der Skurrilitäten und Berge um eine Sensation reicher. Bislang war das Königreich eine absolute Monarchie, doch nun hat ausgerechnet seine Hoheit die Demokratie eingeführt. "Der König hielt die alte Staatsform für nicht mehr zeitgemäß", erklärt ein bhutanesischer Diplomat in Neu Delhi den erstaunlichen Sinneswandel des Herrschers.
König Jigme Singye Wangchuk beugt sich nicht dem Druck des Volkes. Dem Wandel zur Demokratie sind keine öffentlichen Proteste, Demonstrationen oder gar Aufstände vorausgegangen. Schon im letzten Jahr hat der 52-jährige Monarch die Regierungsgeschäfte in die Hand seines 27-jährigen Sohnes gelegt. Doch Kronprinz Jigme Khesar Namgyel Wangchuk wird bald nur noch repräsentative Aufgaben, ähnlich der britischen Königin, haben. Denn das neue Parlament soll dem Land eine Verfassung geben, die die konstitutionelle Monarchie einführt. Am Nationalfeiertag am 19. Dezember hat der König seine Untertanen in einer Ansprache nochmals auf ihre neuen Aufgaben als demokratische Subjekte eingestimmt. "Wir müssen seine Weisung befolgen, um eine lebendige Demokratie zu erschaffen", sagte ein Beamter der staatlichen Zeitung "Kuensel" mit großer Ehrfurcht.
Politische Bildung
Im April hatten die Bhutanesen bereits für die Demokratie geübt. In einer Art Generalprobe durften sie zwischen der fiktiven roten, grünen, blauen und gelben Drachenpartei abstimmen, mussten die Wahlmaschinen richtig bedienen lernen und frei erfundene Wahlprogramme lesen. Am 31. Dezember soll nun richtig gewählt werden: zunächst der Nationalrat, das Oberhaus, im Frühjahr 2008 soll dann die Zusammensetzung des Unterhauses bestimmt werden.
Bhutan, oder Druk Yul, das Land des Drachens, wie die Einwohner es selbst nennen, ist legendär für seine Eigenarten und seine bedächtige Haltung zum Modernen. Als einziger Staat der Erde herrscht seit 2004 absolutes Rauchverbot, obwohl der König dafür bekannt ist, dass er manchmal gerne eine Zigaretten anzündet. Als letztes Land der Erde führte Bhutan 1999 das Fernsehen ein. Noch heute bringt das staatliche Programm vornehmlich Gesundheitssendungen und Berichte über das Königshaus. Der König ist mit vier Frauen, allesamt Schwestern, verheiratet, obwohl Polygamie nicht gestattet ist. Und Thimphu gilt als einzige Hauptstadt der Welt ohne eine Verkehrsampel.
Das Schneewittchenland ist auch sehr restriktiv gegenüber ausländischen Besuchern. Jährlich wird nur eine geringe Anzahl von Touristen ins Land gelassen. Reisen ohne Reisegruppe und staatliche Aufsicht ist nicht gestattet. Außenpolitisch macht das Land kaum von sich reden. Es gibt weltweit nur sechs diplomatische Vertretungen, in Bangladesch, Thailand, Kuwait, Indien, Genf und New York.
Bruttoglücksprodukt
Der Drachenkönig selbst hat international mit dem von ihm erfundenen Bruttoglücksprodukt für Aufsehen gesorgt. Weil ein Journalist der "Financial Times" die Armut in Bhutan kritisierte, erklärte der König das Glück der etwa 800.000 Einwohner des Landes für wichtiger als das Einkommen. Doch das Glücksprinzip gilt nicht für alle Bhutanesen. Das Schicksal der 100.000 Flüchtlinge, die 1991 nach Nepal geflohen sind, bleibt weiter ungelöst. Den Nepali sprechenden Bhutanesen wurde damals die Staatsbürgerschaft aberkannt. Sie leben seitdem in Flüchtlingscamps.