Auch weniger geschichtsinteressierte Schüler fasziniert der Zug Hannibals über die Alpen, mit dem er samt Elefanten ins römische Imperium vorstieß. Militärische Gewaltmärsche haben eine lange Tradition, von Alexander dem Großen bis Napoleon. Das Phänomen, zehntausende Menschen in Marsch zu setzen, um ein politisches Ziel zu erreichen, taucht allerdings erst im 20. Jahrhundert auf.
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Benito Mussolini hat es im Jahr 1922 vorgemacht: Sein "Marsch auf Rom" von faschistischen Schwarzhemden ließ ihn an die Macht gelangen. Nachahmungstäter Adolf Hitler scheiterte ein Jahr später mit dem geplanten "Marsch auf Berlin" kläglich. Man kam vom Münchener Bürgerbräukeller gerade einmal bis zur Feldherrnhalle, wo die bayerische Landespolizei dem Putschversuch ein Ende machte. Freilich folgten auch Märsche mit friedlichen Zielen, vom "Salzmarsch" Ghandis bis zu den Märschen auf Washington der amerikanischen Bürgerrechts- und Antikriegsbewegung.
Der "lange Marsch" als geschichtlicher Begriff, auf den sich heute auch die pakistanische Oppositionsführerin Benazir Bhutto mit ihrem "langen Marsch für die Demokratie" beruft, war eigentlich eine Rückzugsaktion. Im Herbst 1934 beschloss die Kommunistische Partei Chinas eine "taktische Verlegung der Operationsbasis", um der Umzingelung durch die antikommunistischen Truppen Tschiang Kai-scheks zu entgehen. Von Südchina brach man zu einem mehr als 10.000 Kilometer langen und mehr als ein Jahr dauernden Marsch nach Norden auf, um dort unter Führung Mao Tse-tungs die Kräfte neu zu sammeln.
Im Gegensatz dazu nimmt sich Bhutto bei ihrem wenige hundert Kilometer langen Marsch die Hauptstadt als Ziel. Auch das Schicksal der Mitstreiter Maos kann ihr kaum Vorbild sein: Von 90.000 Menschen, die im Süden aufgebrochen waren, kamen nur etwa zehn Prozent im Norden an.
Bhutto will sich wohl eher an dem Mythos orientieren, der nach der endgültigen Machtergreifung Maos 1949 in der neu geschaffenen Volksrepublik China entstand: Dort symbolisierte der "lange Marsch" Stärke, Widerstandskraft und Durchhaltewillen der Revolutionäre.
Das Interesse der deutschen Studentenbewegung um 1968 an Mao war es auch, das Rudi Dutschke einst vom "langen Marsch durch die Institutionen" sprechen ließ, was mittlerweile zum geflügelten Wort geworden ist. Dutschke schwebte allerdings eine revolutionäre Doppelstrategie vor: Während die Avantgarde offen die Revolution vorantreiben sollte, sollten klandestine Kader die Institutionen von innen her destabilisieren. Dass einige Alt-68er heute in den Hierarchien weit oben sitzen, hätte er wohl nicht als Erfolg gewertet. Die Massen hat sein "langer Marsch" nicht erfasst. Ob dies Bhutto gelingt, wird sie erst beweisen müssen. Seite 8